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«Dorfpolizist Gruber hat’s erwischt»

Dorfpolizist Gruber hat's erwischt

Eine weihnachtliche Krimigeschichte von Simon Libsig mit einer süssen Note von Fabian Rimann Chocolatier

Geniessen Sie einen Ohrenschmaus zusammen mit einem köstlichen Praliné. Vom 1. bis 24. Dezember erscheinen hier jeden Tag kurze Geschichten aus der Feder des Wortfechters, Story-Ingenieurs und Poet Simon Libsig. Zu jeder Geschichte passt ein Pralinés von Chocolatier Fabian Rimann. Zum Schluss ergibt sich aus allen Teilgeschichten ein spannender Weihnachtskrimi. Lassen Sie sich in der hektischen Adventszeit in die Welt der Geschichten und des Genusses entführen…

Die Geschichten erscheinen jeweils um die Mittagszeit.

Kapitel 24
Praliné 24

Praliné 24: Trillerpfeife

Unsere diesjährige Geschichte endet mit einem Croquantine-Praliné. Wir hoffen, sie hat Ihnen gefallen und wünschen Ihnen, Ihrer Familie und Ihren Freunden schöne Weihnachten und einen guten Rutsch in ein glückliches, gesundes und zufriedenes 2022!

Hinweis für Allergiker: Enthält Mehl / Gluten

Hören Sie sich hier die Geschichten der vergangenen Tage an
Ganze Geschichte (1 - 24) in einem Stream
Kapitel 23

Praliné 23: Schnüfeli77

Wo nur steckt diese geheime Passwort-Köstlicheit? Wir empfehlen, den Anweisungen von Dorfpolizist Gruber zu folgen und bis zum Grund der Schachtel nachzuforschen…

Bei der geheimen Botschaft handelt es sich um ein «Tafel-Schöggeli» aus Stollmeyer Authentic Hand Made Couverture 72 %.

Kapitel 22

Praliné 22: Polizeimütze

Dorfpolizist Gruber zug sie immer ab für sie… die Polizeimütze… Er hatte Stil… Darum gibt es das heutige Kapitel in Gedichtform…

Wie schon die erste Kreation handelt es sich auch dabei um ein «Candy Love». Dieses mal aber ein Nidelschoggizältli.
Eine unserer Prioritäten fürs Jahr 2022 ist das Thema «Unverpackt». Wir möchten – wo immer möglich – unsere Produkte auch als unverpackte Variante anbieten, wo Kundinnen und Kunden ihre mitgebrachten Behältnissen mit unserer Schoggi nachfüllen können. Dazu gehört auch die «Candy Love»-Linie. Die Candies sind in Wachspapier gewickelt. Dazu bieten wir eine passende Metallbüchse im Vintage-Look an. Sie kaufen die Verpackung einmalig und anschliessend nur noch den Inhalt. Mehr dazu gibt es bald auf unserer Website.

Kapitel 21

Praliné 21: «L»

Dorfpolizist Gruber war ein Fux… «Lesen sie Wort für Wort» meint er… Das Buchstaben-Praliné ist ein Branchli.

Hinweis für Allergiker: enthält Mehl / Gluten

Kapitel 20

Praliné 20: Stethoskop

Zum Wochenstart in die letzten Adventstage gibt es ein Marzipan-Caramel-Praliné. Das Stethoskop verrät, dass wir in den nächsten Geschichten wohl mehr über den Gesundheitszustand von Dorfpolizist Gruber erfahren werden…

Kapitel 19

Praliné 19: Parlinés-Schachtel

Die Pralinés-Schachtel in der Pralinés-Schachtel… Zum vierten Advent gibt es das grösste Praliné in der Box. Es enthält eine Stollmeyer 70 % Ganache, Mandelgianduja und ein Bananencaramel. Diese drei Zutaten lassen das Praliné wie ein «Bananensplit» schmecken.

Kapitel 18

Praliné 18: Spinne

Das heutige Praliné ist ein spezielles… Denn: wo es ein Insekt drauf hat, hat es auch Insekten drin! Zwar ist es keine Spinne, aber getrocknete Mehlwürmer. Keine Sorge! Auch wenn Sie das Praliné aufschneiden, werden Sie den Mehlwurm nicht sehen. Vielleicht braucht es etwas Mut um reinzubeissen. Es kann aber bedenkenlos verköstigt werden und schmeckt wunderbar nussig.

Insekten gehören in anderen Teilen dieser Welt zum normalen Ernährungsplan und werden als Lösung für die immer knapper werdenden Nahrungsmittelressourcen gehandelt. Heute tragen wir unseren Beitrag dazu bei.

Kapitel 17

Praliné 17: Schildkröte

Eine Schildkröte aus dem Meer… Eine gesalzene Sache ist darum auch das heutige Praliné: ein Caramel mit Fleur de Sel.

Kapitel 16

Praliné 16: Kommode

Eine Kommode gehört wohl zu den Klassikern unter den Möbelstücken. Genauso wie die heutige Versuchung im Adventskalender. Sie gehört zu den Klassikern in unserem Sortiment: Das Goldstück! Ein Haselnussgianduja mit caramelisierten Haselnüssen. Im Gegensatz zum «Original» ist dieses Exemplar im Kalender noch mit einer feinen Schicht Schokolade überzogen.

Übrigens: Die Goldstücke produzieren wir zusammen mit dem Töpferhaus in Aarau. Wie es entsteht und was alles dahinter steckt, können Sie in diesem Video sehen (hier klicken/drücken) 

Kapitel 15

Praliné 15: Velo

Roli und sein Velo! Und warum nur ärgert er damit seinen Grossvater so sehr, dass dieser wie verrückt zu wischen beginnt? Sie werden es erfahren… Das Praliné mit dem Velo ist ein Milchtruffes (44 %) aus unserer Stollmeyer «Bean To Bar»-Produktion

Kapitel 14

Praliné 14: Apfelbäumli

Der Lehrer Sennhauser und seine Äpfel… Es wäre bestimmt sein Lieblingspraliné im Adventskalender. Es ist nämlich ein Praliné aus Apfelgelée, kombiniert mit einer sämigen Ganache.

Kapitel 13

Praliné 13: Bagger

Ein Bagger – Zwei Buben! Ob das gut kommt? Sie werden es erfahren… Was wir hier schon einmal verraten können: Es ist ein Grand Cru Praliné aus Stollmeyer Authentic Hand Made Couverture (72 %).

Kapitel 12

Praliné 12: Mini

Zum 3. Advent gibt’s ein Mini-Auto zu geniessen. Es ist ein Mandelgianduja mit Caramel Fleur de Sel.

Kapitel 11

Praliné 11: Musiknoten

Musik liegt in der Luft… im Konzertsaal und im ganzen Dorf von Polizist Gruber. Das musikalische Praliné ist ein 3-erlei-Haselnussgianduja (weisse, Milch- und dunkle Schokolade – schneiden Sie es mit einem scharfen Messer von oben nach unten durch, um die Schokoladenschichten gut zu sehen).

Kapitel 10

Praliné 10: Kaffeetasse

Kaffee passt hervorragend zu Schokolade, weshalb dieses Praliné aus einer Kombination aus Tonka- und Kaffeeganache kreiert wurde. Was es mit der Geschichte auf sich hat? Sie werden es erfahren…

Kapitel 9

Praliné 9: Luftballon

Unser Luftballon-Praliné ist mit Himbeergelée und Himbeermarzipan gefüllt ?Wir wünschen luftig-leichten Genuss…

Kapitel 8

Praliné 8: Hundekopf

Wo liegt in diesem Kapitel wohl der Hund begraben? Dorfpolizist Gruber weiss es bestimmt… Das Grand Cru Praliné ist aus einer dunklen Couverture (72 % ) mit Kakaobohnen aus Kuba. Die Couverture ist ebenfalls «Authentic Hand Made» – also eine «Bean To Bar»-Schokolade aus unserem Hause.

Kapitel 7

Praliné 7: Kirchturmglocke

Die Kirchturmglocke ist ein Orangen-Gelée mit einer Gewürz-Ganache und Mandelgianduja.

Kapitel 6

Praliné 6: Grünes Herz

Kommt Ihnen das Praliné bekannt vor? Das grüne Herz war bereits im letztjährigen Kalender vorhanden. Was es wohl in diesem Jahr mit Pistazienmarzipan auf sich hat? Wir wünschen Ihnen allen einen schönen Samichlaus-Tag.

Kapitel 5

Praliné 5: Roulette Chip

Wer versucht wohl sein Glück im Casino? Dieser Roulette Chip bringt auf jeden Fall Glück in geschmacklicher Hinsicht. Er ist aus einer unserer Authentic Hand Made Couverture. Dunkle Schokolade 76 % mit Kakaobohnen aus Kuba. «Authentic Hand Made» bedeutet übrigens, dass wir die Couverture selber mit unserem original Lehmann-Melangeur aus dem Jahre 1928 herstellen. Dabei handelt es sich um die Maschine, die bei uns im Schaufenster in Wettingen steht.

Kapitel 4

Praliné 4: Katzenzüngli

Hatte der Dorfpolizist Gruber eine Katze? Wer weiss… Weshalb ein «Katzenzüngli» in der Praliné-Box ist, erfahren Sie in der Geschichte von Simon Libsig. Eines ist klar: Die tierisch-süsse Versuchung ist eine Milchschokolade (44 %) mit Kakaobohnen aus der Stollmeyer-Farm von Trinidad und Tobago. Diese kleine aber feine Farm produziert exklusiv für uns. Mehr dazu (mit Bildern) erfahren Sie auch auf unserer Website hier.

Kapitel 3

Praliné 3: Handgrante

Eine explosive Sache heute im Kalender. Aber keine Angst! Was sich im Mund wie kleine Explosionen anfühlt ist Pastry Rocks (Caramel-Stückli, die mit Stickstoff angereichert sind). Das Praliné enthält zudem Mandelgianduja mit Blutorangen.

Kapitel 2

Praliné 2: Duftbäumchen

Das Duftbäumchen im Kalender riecht weniger nach dem bekannten Duftbäumchen aus dem Auto, als viel mehr nach einer Fichte. Die weisse Schokolade enthält nämlich Fichtensprösslinge.

Kapitel 1

Praliné 1: Pferd

Das erste «Zückerli» im Adventskalender ist genau genommen kein Praliné. Es ist ein Nidel-Zätli – also ein Caramel. Aus unserer neuen «Candy Love» Serie.

Kapitel 24

Es ist Grümpelturnier auf dem Bachteli-Sportplatz. Das halbe Dorf ist da. Ballone mit Zetteln dran steigen in den Himmel. Abgefüllt von Frau Schaufelberger und ihrem Einbrecher. Beide trinken heissen Whisky. Die Schülerband spielt Claudes Melodie. Er selber täuscht eine Knöchelverletzung vor, und humpelt gerade zum Samariter-Zelt. Dort ist Frau Kupfer im Einsatz. Besser gesagt, im Gespräch. Mit einem jungen Pärchen. Sie ist schwanger. Woher die Arztgehilfin diesen Ring habe, will die Schwangere wissen, sie habe exakt einen solchen Ring verloren. Mit einem grünen Herzen drauf. Claude kriegt mit, wie die Arztgehilfin auf Brian zeigt, der sich gerade mit den beiden Bagger-Lausbuben warm spielt. „Von ihm“, sagt Frau Kupfer, „und ich habe mich sofort in diesen Ring verliebt.“

Lehrer Sennhauser betreibt mit seiner Klasse eine Apfelmost-Bar. Gemeinderat Rüdisüli nimmt von allen Seiten Dankeschöns entgegen, für den neuen Kreisel, in dessen Mitte stolz die alte Kirchturmglocke thront. Und die Joggerin, die seit ihrem Unfall gertenschlank und wieder singel ist, unterhält sich mit dem Kremator. Er hat gerade eine Glückssträhne.

Auf der Tribüne hat der Doktor neben Frau Reinert Platz genommen und erkundigt sich nach ihren bösen Hüften. Eglisauer streckt allen die Dose mit den Spinnen hin, man solle nur zugreifen, die seien lecker. Und Donnerpfeil grast friedlich hinter dem Tor. Die Gemeindepräsidentin kniet beim Anspielpunkt und schnürt sich den rechten Schuh, die Trillerpfeife um den Hals. Sie murmelt etwas vor sich hin. Dann streicht sie sanft mit der Hand über das Gras. „Sie kennen es“, sagt sie, richtet sich auf, und pfeift das Turnier an.

Lesen Sie hier die Geschichten der vergangenen Tage nach
Kapitel 23

Kapitel 23

Die Gemeindepräsidentin legte das Notizheft weg. Doppelter Boden. Gruber, was zum Teufel. Praliné-Box mit Spezialabfüllung, hatte er geschrieben. Und sie solle sie leer essen, bis auf den Grund. Das war nicht einfach so daher gekritzelt, das war alles Teil eines Plans. Die Gemeindepräsidentin nahm die Praliné-Box in die Hand. Dann hob sie die Praliné-Einlage aus der Schachtel. Tatsächlich. Darunter lag ein Zettel. Schon etwas vergilbt. Abgerissen von einem kleinen Notizblock. Und jemand hatte mit einem Bleistift drüber schraffiert, um den Abdruck einer Notiz sichtbar zu machen. Der alte Detektiv-Trick. Sie kennen es, würde Gruber sagen.

„Schnüfeli77“ stand auf dem Notizzettel. Und jetzt wusste die Gemeindepräsidentin Bescheid. Sie wusste Bescheid, dass Gruber Bescheid wusste. Gewusst hatte. Die ganze Zeit. Gruber hatte sie gedeckt. Weil er sie liebte.

Die Gemeindepräsidentin holte mehr Wein aus der Küche. Sie hatte ihren untreuen Freund damals mit dem Laptop nicht wirklich k.o. schlagen wollen, das war eher eine glückliche Fügung. Und gab ihr die Möglichkeit, ihn noch viel härter zu treffen. Erst brachte sie ihn in die Bewusstlosenposition. Dann holte sie sein Handy und entsperrte es mit seinem Finger. In der Passwort-App fand sie das Passwort, das ihr fehlte, „Schnüfeli77“. Es war so einfach. Doch dann wachte das Arschloch auf. Und natürlich gab es eine riesen Szene. Also, er sass eigentlich nur belämmert auf dem Fussboden, während sie hysterisch die wichtigsten paar Sachen zusammenpackte, und schliesslich davon rauschte. Die Haustür lies sie offen. Das fand sie dramatischer als zuknallen. Aber dann wusste sie erst mal nicht wohin. Und landete schliesslich im Büro, im Gemeindehaus. Und dort schrieb sie dann das Passwort auf dieses kleine Notizblöcklein. „Schnüfeli77“. Zur Sicherheit. Sie hatte Angst, es zu vergessen. Riesenfehler.

Als sie offiziell bei ihrem Betrüger-Ex-Freund auszog, bestand sie darauf, dass er nicht anwesend sei und sich fernhalte. Sie wolle einfach ihren Krempel holen, und so schnell wie möglich wieder raus, aber sein Gesicht wolle sie nicht sehen. Es sei schon schlimm genug, dass sie seinen Duft noch ertragen müsse, es rieche ja überall nach ihm. Also bitte, sie brauche drei Stunden. Alleine. Ja. Und in diesen drei Stunden schaffte sie es dann eben auch noch, neben der ganzen Packerei, eine halbe Million von seinem Konto auf ihr eigenes zu überweisen. Und als sie dann ein wenig später an ihrem eigenen Computer sass, überwies sie das Geld direkt weiter an die Gemeinde. Aus dem Schnüfeli77-Notizzettel machte sie Konfetti, alles Paletti. Der Rest ist bekannt.

Nun muss Gruber aber bei der Durchsuchung ihres Büros das Notizblöcklein gefunden, und aus gruberschem Spürsinn heraus, den Bleistifttrick gemacht haben. So ein Fux. Hatte den Beweis, dass sie das Passwort kannte, die ganze Zeit, und erst jetzt, nach seinem Tod, gab er ihn preis. Gab ihn ihr. Das heisst, überliess ihn ihr. Überliess ihr die Entscheidung, was sie damit tun sollte. Aufessen? Oder gestehen?

Die Gemeindepräsidentin schenkte nach. Es gab ja auch noch ein anderes Problem. Grubers letzten Wunsch. Sie nahm einen grossen Schluck. Sie wusste, sie würde ans Äusserste gehen, und darüber hinaus, um ihn zu erfüllen.

Donnerpfeil half beim Transport. Wirklich der beste Freund, den man sich wünschen kann. Trug Gruber in stockfinsterer Nacht zum Bachteli. Sanft. Ohne zu holpern.

Wo der Baggerschlüssel zu finden war, wusste die Gemeindepräsidentin jetzt auch. Und wie man das Ding fährt, hatte sie beim Spatenstich für den neuen Kreisel gelernt. Da war für einmal sogar das Regionalfernsehen dabei gewesen, und die wollten Action, kein langweiliges den Fuss-auf-den-Spaten-stellen-und fröhlich-grinsen, nein, die wollten die Gemeindepräsidentin, wie sie im Bagger mit dem Aushub beginnt. Bravo.

Einen Sarg hatte sie nicht gerade zur Hand. Aber Gruber hatte auch nicht explizit einen gewünscht. Sie würde ihn also einfach so wie er war in die Grube legen. Den Gruber. Meine Güte, so hatte sie seinen Nachnamen noch nie wahrgenommen. Gruber. Schnell wischte sie ihre Gedanken weg und begann mit dem Aushub. Mit dem Bagger ging das ratzfatz. Aber was würde sie sagen, wenn plötzlich jemand auftaucht? Fragt, was sie hier mache? Und um diese Uhrzeit? Die Fussballwiese für das Grümpelturnier aufbereiten? Schnelleres Internet verlegen?

Zum Glück kam niemand. Grubers Bestattung verlief reibungslos, wenn auch sehr tränenreich. Die Gemeindepräsidentin vergrub mehrmals ihr Gesicht in der Mähne von Donnerblitz und drückte ihn fest.

Natürlich würde es auch eine ordentliche Beerdigung für Gruber geben. Eine öffentliche. So eine, wie es damals für den Glockenwart gegeben hatte. Mit leerem Sarg. Die Gemeindepräsidentin hatte da schon einen Plan. Und als Grabstein gibt es eine Hörstation vom Grabsteinmacher. Mit Anekdoten über den Dorfpolizisten. Und Sexbomb.

Die Gemeindepräsidentin stellte den Bagger zurück zur Kreiselbaustelle und klebte den Schlüssel unters Dach. Dann pfiff sie Donnerpfeil. „Komm, mein Freund“, sagte sie, und stieg auf, „Wir gehen nach Hause.“

Kapitel 22

Kapitel 22

Liebe Gemeindspräsidentin

Ich bin wie eine Handgranate vom Böller-Kari,
unglücklich verknallt,
sie sind für mich wie Kleopatra, eine Königin, von wunderbarer Gestalt.
Für sie setzte ich im Casino alles auf rot,
und lägen sie unter einer Standuhr, wäre auch ich sofort tot.
Ich könnte sie töpfern und gipsen
und zeichnen und schnitzen
Und ich blicke gebannt, in Ihre Augen, die so leuchten, wie ein grüner Diamant.
für sie ginge ich sogar ins Bodypump und würde meinen Körper stählen,
für sie würde ich ein riesiges Herz in eine Wiese mähen
Und määäähen, auf allen Vieren
Ich würde jeder Drohne eine Schmieren, die ihnen zu nahe kommt
Für sie würde ich alle Gläser leeren, auch wenn mir danach noch tagelang der Schädel brummt
Natürlich, ich habe es nie an die grosse Glocke gehängt,
Ich war verschwiegen wie ein Knochenmann, damit ja kein Hund zu bellen anfängt,
nur einmal bin ich eingebrochen, und hätte ihnen fast meine Liebe gestanden,
Doch dann verflog mein Mut wie ein Luftballon und kam mir irgendwie abhanden…
und so hielt ich weiterhin meinen Schnabel, auch wenn es mich schmerzte,
als steckte ein Spriesen in meinem Herzen, und ich wurde ein Fall für die Ärzte…
Ich solle Piano, Piano, kürzer treten, meine Lunge pfeife ja schon,
wie ein verstaubtes, eingerostetes Saxophon…
Und meine Ernährung solle ich umstellen, am besten Nouvelle cuisine,
Keine Pizza, keine Bierchen, keinen Gin,
Das sei Emminem…emminent wichtig,
Ich solle joggen gehen, ich sei übergewichtig,
Die Ampel zeige schon rot
Ich baggere mir mein eigenes Grab
Und wenn der Kreislauf noch weiter Apfel-t, dann bin ich tot.
Dann ist die Luft raus, wie bei einem platten Reifen,
Dann höre ich das wisch, wisch der Sense, und ich beginne zu begreifen,
dass er mich nun holt, wie irgendwann jeden,
gratis, zum mitnehmen.
Ja, mein Engel, aber das soll sie nicht quälen,
Mein Leben war eine Kommode, äh, eine Komödie, und kein Drama auf Erden,
Es war nicht Brutus, äh, brutal, es war vielmehr ein Tanz, über nassen Granit
Es war Dirty Dancing, es war wie Spathetti-Reste, es war ein Hit.
Ein Ankleide-Zimmer mit den edelsten Stoffen,
und ich hab’s so gut wie ich konnte mit jeder Faser genossen.
Und natürlich wollte ich Meer,
haiaiai, ja, ich wollte Meer haben,
Ich wäre am liebsten mit Ihnen in den Ehe-Hafen,
getaucht, mit der Nautilus,
Aber ich habe mich nicht mehr getraut, nach dem Kuss
Und musste mir immer wieder sagen, ich spinne, ich spinne doch, Gefühle für sie zu haben…
Ich meine, gerade ihnen,
wünsche ich doch nur die besten Pralinen,
das haben sie verdient,
Und deshalb habe ich geschwiegen, denn ich habe sie geliebt.
Meine Polizeimütze habe ich immer für sie abgezogen,
den Beweis dazu finden sie unter dem doppelten Boden…

Kapitel 21

Kapitel 21

Die Gemeindepräsidentin klappte das Notizbuch zu. Donnerpfeil schaute durchs Fenster rein. Der Goldwändler war alle. Gruber immer noch tot. Sie war fassungslos. Wie konnte dieses Herz von einem Mann so mir nichts, dir nichts, nicht mehr schlagen? Schon jetzt vermisste sie ihn so sehr, dass sie fast keine Luft mehr kriegte. Wie sollte das alles hier ohne ihn gehen?

Sie rief Gruber aufs Handy an. Sexbomb, sexbomb…“steh auf und tanz, verdammtnochmal, bitte, Gruber, tanz!“ Sie weinte. Und dann hörte sie sich seine Combox-Ansage an. Wieder und wieder. Schon jetzt hatte sie Angst davor, seine Stimme aus dem Ohr zu verlieren.

Gruber hatte ihr einmal einen Grittibänz gebacken. Mit Polizeimütze. „Sind sie das, Gruber?“ hatte sie gefragt. „Ja, das ist ein Selbstportrait“, hatte er geantwortet, „aber ich bin nur mässig zufrieden, wollte mir gestern aus Frust fast das linke Ohr abschneiden.“

Die Gemeindepräsidentin boxte ihn in den Oberarm. „Also ich finde sie zum Anbeissen“, und dann biss sie dem Grittibänz den Kopf ab.

Seit dem Kuss-Vorfall bei der Weihnachtsfeier, hatte sich Gruber ihr gegenüber immer völlig korrekt verhalten. Überkorrekt muss man schon fast sagen. Und das nervte sie. Es stachelte sie fast schon an. Und plötzlich hörte sie sich grenzwertige Dinge zu ihm sagen wie „Zum Glück kriegen sie von ihrer Uniform Ausschlag, denn ich kriegte von ihr vermutlich weiche Knie.“ Und sie beobachtete sich, wie sie ihre schön lakierten Nägel präsentierte, wenn sie von ihm die Thermoskanne mit dem selbstgebrauten Kaffee entgegennahm. Ja, sie flirtete latent mit ihm, wenn man sich am Kopierer traf, oder zwischen Tür und Angel einen Fall diskutierte, aber er machte einfach nicht mit. Dieser sture Bock. Und das traf sie jetzt irgendwie noch mehr. Hätte sie ihm nur nie diese Ohrfeige gegeben. Diesen Nasenstüber. Wer weiss, vielleicht wäre das ja irgendwann mal etwas geworden. Das weiss man nie. Aber vielleicht hatte er für sie auch tatsächlich weniger übrig, als sie für ihn? Sie würde es nie erfahren. Das ist eben der Brunz, wenn man nicht über solche Dinge spricht, so lange man noch kann. Die Gemeindepräsidentin warf das Buch wütend auf das Beistelltischlein. Es klappte wieder auf. Bei der Seite mit Grubers allerletztem Eintrag. Weil sie es dort glattgestrichen hatte, mit dem Handballen über den Falz. „Wie ein kurzes Aufflackern im Daumenkino des Lebens.“ Grubers letzter Satz. Irgendwie hob er sich von den übrigen Sätzen ab. Schon beim ersten Mal Lesen, hatte die Gemeindepräsidentin etwas gestockt. Dermassen schwulstig und geschwurbelt, das klang gar nicht nach Gruber. Da hatte er vermutlich lange suchen müssen, nach dieser Formulierung. Aber gut, es war immerhin sein letzter Satz. Da ist man vermutlich schon etwas unter Druck. Da möchte man sicher etwas Gewichtiges schreiben. Und bei Gruber ist das dann halt so rausgekommen. Hat sogar noch etwas fester gedrückt beim Schreiben. Nun fiel es ihr auf. Fast so, als hätte er den Satz nochmals drüber nachgezogen: „Wie ein kurzes Aufflackern im Daumenkino des Lebens.“

Die Gemeindepräsidentin nahm das Buch wieder in die Hand. Sie schaute zu Gruber, der immer noch so aussah, als würde er friedlich schlafen. Dann liess sie die Buchseiten an ihrem Daumen vorbeirascheln. Und nochmal. Und nochmal. Und nochmal.

Über all die Geschichten verteilt, waren einzelne Wörter minim hervorgehoben. Gruber hatte hi und da mit dem Kugelschreiber fester gedrückt. Teilweise Worte oder Buchstaben unterstrichen. Das war ihr nicht bewusst aufgefallen. Erst jetzt, im Daumenkino. Und er hatte ihr ja noch explizit aufgetragen, „lesen sie Wort für Wort.“ So ein Fux.

Kapitel 20

Kapitel 20

Ich hatte mich also gerade zum Sterben hingelegt, da klingelt mein Handy. Und sie wissen ja, welcher Song dann kommt. Ganz genau. Sexbomb. Und wenn ich diesen Song höre, dann laufen bei mir zwei Dinge ab, da kann ich nichts dagegen tun, das ist vermutlich steinzeitmässig in meine DNA eingepflanzt. Erstens möchte ich tanzen. Ja, ich tanze. Überraschung. Hätten sie mir damals an dieser Weihnachtsfeier der Gemeindekanzlei keine geschmiert, hätten sie mich an diesem Abend vermutlich noch tanzen sehen. Sexbomb, sexbomb, yeah, you’re a sexbomb…und zweitens, erwacht der Polizist in mir, und der Jagdtrieb. Das ist wie bei meinem Kater Max. Max war mein erster Kater, und ich kriegte ihn von meiner Lehrerin, als ich acht Jahre alt war. Ich liebte Max. Er holte mich immer von der Schule ab. Und ich verkleidete ihn manchmal als Hund und ging mit ihm an der Leine spazieren. Bis er krank wurde. Da zog er sich völlig zurück, unters Sofa. Nichts brachte ihn mehr unter diesem Sofa hervor, nicht mal das Nassfutter, das er sonst innert Sekunden hundemässig inhalierte. Er wusste, dass er stirbt, und hatte sich unter diesem Sofa zum Sterben bereitgelegt. Aber ein letztes Mal bäumte er sich noch auf. Und zwar als ich „Biggy“ aus seinem Käfig nahm und vor dem Sofa aussetzte. Biggy war die Maus meiner Schwester. Und Biggy erinnerte Max daran, wer er war. Denn unter dem verhätschelten, Langschläfer-Sofa-Tiger, mit unerschöpflichem Nassfutternachschub, schlummerte etwas, das steinzeitmässig in seine DNA eingepflanzt war. Max war ein Raubtier. Und darüber hatte er keine Kontrolle. Und als Biggy vor seinen entzündeten Augen und halb lahmen Pfoten herumscharwenzelte, kam das Raubtier nochmals aus Max heraus, und unter dem Sofa hervor. Genau wie ich nochmals aus meinem Sterbebett aufstand, als mein Handy klingelte. Ein Notfall? Ein Auftrag? Vielleicht Sie, liebe Gemeindepräsidentin, die Hilfe braucht? Klar, als es dann nur der Doktor war, sackte mein Puls gleich wieder rapide ab. Und jegliche Energie von Sexbomb verpuffte. Und dann liess er sich auch nicht abwimmeln, der Gute. Kann ja auch nicht aus seiner Haut. Selbst, wenn es nichts mehr zu helfen gibt, will der noch helfen. Muss er noch helfen, sonst wird er seines Lebens nicht mehr froh. Also habe ich ihm eine Aufgabe gegeben. „Bringen sie mir einhundert Autoduftbäumchen, damit können sie mir helfen“, habe ich zu ihm gesagt, und aufgelegt. Natürlich dachte ich, dass er damit einige Zeit beschäftig sei, und nur noch den Totenschein auszufüllen brauche, wenn er dann oben am Hang bei mir ankommt. Aber der alte Placebo-Meister überraschte mich, das ging ruckzuck und dann stand er neben meinem Bett, und holte schon das Stethoskop raus.

Musste ich mir also wieder etwas überlegen. Er dürfe mich abhorchen, sagte ich ihm, aber nur, wenn er mich im Schach besiege. Mein letztes Stündlein habe geschlagen, und ich wolle es lieber für ein Spielchen nutzen, als für Untersuche oder gar Bemitleidungen, die sowieso nichts bringen. Aber Obacht! Ich spiele grundsätzlich nur Blitz-Blank-Schach. Also Blitz-Schach mit Strip-Zwang. Für jede Partie, die er gewinne, dürfe er etwas Untersuchen, Puls, Herzschlag, Blutdruck usw. Aber für jede Partie, die ich gewinne, müsse er ein Kleidungsstück ablegen. Und was soll ich sagen? Wieder überraschte mich der Doktor. Er willigte tatsächlich ein. Und er spielte miserabel. Eine Stunde später sass er immer noch da, mit seinem Stethoskop, aber nur mit seinem Stethoskop, sonst war er nackt. Ja. Aber ich irgendwie auch. Denn während dem Spielen haben wir viel geredet, fast mein ganzes Leben habe ich vor ihm ausgebreitet. Und wir haben uns darüber unterhalten, was bleibt. Was bleibt von einem solchen Leben? Was war mir wichtig in diesem Leben? Und der Doktor ermutigte mich, es aufzuschreiben. Ich solle noch so viel wie möglich aufschreiben. Und er käme dann am nächsten Tag wieder, um nach mir zu sehen.

Es waren die Menschen. Es waren die Menschen um mich herum, die mir wichtig waren in meinem Leben. Und deshalb setzte ich mich in dieser Nacht noch hin, nachdem ich all die Duftbäumchen an die Deck getackert hatte, und schrieb dieses Notizbuch voll, mit ihren Geschichten. Und vielleicht bleibt die eine oder andere Geschichte ja hängen, liebe Gemeindepräsidentin, ich würde es mir wünschen, denn damit würde auch ich ein klein wenig in dieser Welt hängenbleiben. Wie ein kurzes Aufflackern im Daumenkino des Lebens.

Kapitel 19

Kapitel 19

„Selbstverständlich kann ich dir Spinnen machen“, sagte der Chocolatier ins Telefon, „aller Gattung Spinnen kann ich dir machen, du musst nur sagen, wie viele du brauchst.“ Er kannte Eglisauer noch von der Schule her. Spinnen passten so gar nicht zu ihm. Was war heute nur los? Ein verrückter Tag. „Ja, schlechte Verbindung. Aber ich höre dich. Ja. Natürlich. Die werden aussehen wie echt. Klar. Was? Was sagst du? Militärschokolade? Wie kommst du denn auf Militärschokolade?“ Der Chocolatier setzte sich. Es war nicht das erste Mal am heutigen Tag. Normalerweise setzte er sich nie. Etwas beschäftigte ihn. „Survival sagst du? Aber da mach ich dir was besseres. Habe schon eine Idee. Klitzekleine Spinnen. Aber Energiebomben. Mit allem, was du brauchst. Nahrhaft. Auf jeden Fall. Ich habe auch schon eine Idee für die Verpackung. Klar. Da habe ich eine schöne Dose, da kannst du die Spinnen rausfuttern wie Popcorn.“

Kaum hatte der Chocolatier das Gespräch beendet, wählte er die Nummer des Dorfarztes. „Frau Kupfer, guten Tag, geht es ihnen gut? Und ihrem jungen Verehrer? Gutgut. Jaja. Sie wissen doch, sowas spricht sich schnell herum. Schönschön. Darf ich mit dem Doktor sprechen? Es ist dringend. Wirklich dringend. Neinnein, ich brauche nicht die Ambulanz, aber wenn er mich rasch zurückrufen könnte, wäre ich sehr dankbar. Vielen Dank. Danke. Perfekt. Ihnen auch. Adieu.“ Der Chocolatier zeichnete ein paar Spinnen auf einen Notizzettel, um sich abzulenken. Er wusste schon, welche Zutaten er nehmen würde. In Gedanken rechnete er die Mengen hoch und überlegte sich die verschiedenen Geschmacksrichtungen. Der Auftrag war so gut wie erledigt, als das Telefon klingelte. „Ja. Herr Doktor. Vielen Dank, dass sie zurückrufen. Es geht nicht um mich. Es geht um Gruber. Ja. Der Dorfpolizist. Gaius. Der war vor etwa einer Stunde bei mir im Laden, und das geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Der sah gar nicht gut aus. Mitgenommen. Klar, hat Witze gerissen wie ein Weltmeister. Aber da war etwas in seinen Augen. Mir war fast so, als wisse er, dass es zu Ende geht. Ich mache mir Sorgen. Könnten sie so gut sein, und nach ihm sehen? Vielen Dank, Doktor, vielen Dank. Perfekt. Was? Aha. Er kaufte eine Schachtel Pralinen. Nicht für sich. Er esse nur Karotten, sagte er. Aber was er dann tat, will mir nicht mehr aus dem Kopf. Beim Verabschieden zog er seinen Hut und verneigte sich.

Kapitel 18

Kapitel 18

Eglisauer schälte sich angewidert aus dem Seepferdchen-Kostüm. Es biss ihn überall, er war bachnass geschwitzt. Und eine Stunde Yoga und meditieren würde heute vermutlich nicht reichen, um all die Demütigungen und die Scham vergessen zu machen. Es war ein hoher Preis, den er zahlte. Aber morgen hatte er einen freien Tag. Er würde in aller Frühe los und die Umgebung erkunden. Ein paar Fotos schiessen. Die Luft atmen. Vielleicht fand er sogar ein Gasthaus oder eine Schenke, wo er sich mit ganz normalen Leuten von hier unterhalten konnte. Und etwas Einheimisches essen.

Eglisauer wollte die Welt sehen. Am liebsten jedes Land der Erde. Aber bis zu seinem fünfundvierzigsten Geburtstag hatte er es immer nur ferienhalber aus seinem Schweizer Dorf geschafft, und nie über die direkten Nachbarländer hinaus.

Als er Müllers Aufruf im Gemeindeblatt las, wusste er, dass das seine Chance war. Der Bonz von schräg gegenüber wollte einen lokalen Künstler fördern und ihm den Weg in die internationale Kunstwelt ebnen. Wer also in hohem Masse kreativ und erfinderisch sei, und sich zudem nicht davor scheue, um den ganzen Globus zu jetten, solle sich bewerben.

Da Eglisauer schräg gegenüber wohnte, und ein Spitzen Fernglas besass, kannte er Müller relativ gut, und vor allem auch seinen, sagen wir mal, Grad an Exzentrik. Das verschaffte Eglisauer sicher einen Vorteil bei der Bewerbung, sowie die Tatsache, dass sich neben ihm nur noch der Grabsteinmacher auf den Aufruf meldete. Die Idee mit der Schildkröten-Plastik-Ausstellung kam ihm nach einem Beitrag im „10 vor 10“, das Material dazu fand er bei der Kehrichtentsorgungsstelle im Nachbarsdorf. Der Bewerbungsmappe legte er zudem noch ein Heftchen bei, von dem er wusste, dass Müller es gerne zum Trainieren las. Der Grabsteinmacher hatte mit seiner Idee keine Chance. Er wollte Grabsteine wie Hörstationen konstruieren, an denen man die Stimme des Verstorbenen Nachhören konnte, oder Geschichten über sein Leben usw. Wie gesagt, keine Chance. Eglisauer bekam den Zuschlag. Obwohl er sich bis dahin in keinster Weise als kreativen Menschen sah, sondern einfach jeden Tag die Post austrug.

Das Handy von Frau Müller hatte Eglisauer natürlich nicht entsorgt. Er drehte es in seinen Fingern, als er auf dem Bett lag und an seinem kommenden Werk herumstudierte. Er hatte Herrn Müller einen Selbstversuch versprochen. Inspiriert von einem Artikel, den er im Geo gelesen hatte. Er würde einen Monat lang ausschliesslich Spinnen essen, und seine Erfahrungen damit in einem Video-Blog festhalten. Blöde Idee natürlich, denn Eglisauer hasste Spinnen. Aber Müller war mitten in der Nacht in sein Zimmer gestürmt und wollte die Idee zum nächsten Werk wissen, und Eglisauer hatte vor dem Einschlafen diesen Artikel gelesen, und war unter Zugzwang, et voilà. Nicht gut. Gar nicht gut. Denn als Eglisauer den Artikel nochmals genauer las, realisierte er, dass wir vielleicht ab und zu mal eine Spinne verschlucken, im Schlaf, aber sicher nicht davon leben könnten. Das heisst, Eglisauer war so gut wie tot. Wenn er nicht bald eine Lösung für das Spinnenproblem fand. Er wollte Frau Müllers Handy gerade an die Wand pfeffern, als es plötzlich vibrierte. Es musste wohl jemand aus der Schweiz sein, der anrief, denn auf dem Display erschien eine Tafel Schokolade. Eglisauer lief das Wasser im Mund zusammen. Und jetzt wusste er auch, wer ihm helfen konnte.

Kapitel 17

Kapitel 17 

Die Bedienstete schlüpfte in einen vorgewärmten Bademantel und hinterliess nasse Fussspuren auf den Granitfliesen, als sie Richtung Ankleidezimmer tänzelte. Nach Dirty Dancing war ihr nach Schaumwein und Schaumbad gewesen, nun war es Zeit für ein schönes Abendkleid, ehe der Kurier die Pizza lieferte. Sie arbeitete erst seit fünf Wochen für das Ehepaar, aber sie fand sich schon gut zurecht. Sie wusste, wo „Madame“ die teuren Sachen aufbewahrte, und auch diejenigen, von denen „Monsieur“ vermutlich nichts wissen sollte. Und spätestens als sie im Fitnessraum unter dem Laufband die Heftchen fand, wusste sie auch über die Vorlieben von „Monsieur“ Bescheid. Es waren gute Leute. Sie arbeitete gern für sie. Man sah sich einfach sehr selten.

Schon am Eingang des Ankleidezimmers wusste die Bedienstete, dass da etwas nicht stimmte. Sie liess grundsätzlich immer und in jedem Raum das Licht brennen, Tag und Nacht, wenn sie alleine hier im Haus war. Aber das Licht im Ankleiderzimmer war aus. Und kaputt war es nicht. Als sie in die Hände klatschte schaltete es sich automatisch ein, wie gewohnt. Sie pfiff dem Hund. Und schon kam „Brutus“ um die Ecke gedriftet. Der Zwergspitz-Welpe spulten richtig durch auf diesem Boden. Die Bedienstete nahm ihn auf den Arm und drückte ihn fest an sich. Sie wollte da nicht alleine rein.

Alle Schränke und Schubladen waren durchwühlt worden. Unterwäsche lag auf dem Boden. Socken überall. Kleiderbügel hingen nackt an Kleiderstangen. Kein Schuh stand mehr neben dem anderen. Die Bedienstete zückte ihr Handy und googelte die Nummer der Polizei.

Soweit sie es bis jetzt überblicke, gab die Bedienstete schliesslich zu Protokoll, fehle nichts. Nur die fünfzig Franken, die sie in der Küche für den Pizza-Kurier bereitgelegt hatte. Und die Spaghetti-Reste aus dem Kühlschrank. Ach ja, und Brutus habe plötzlich so komischen Mundgeruch. Das sei ihr aufgefallen. Fast so, als habe er Fleisch gegessen. Dabei ernähre sie ihn ja vegan.

 

Als bei Frau Müller das Handy vibrierte, gaben sie und ihr Mann gerade eine ihrer berühmten Parties. Irgendwo am anderen Ende der Welt. Auf einer Ritterburg. Mit Hubschrauber-Landeplatz. Thema des Abends war: „Das Meer.“ Herr Müller hatte zwanzig Männer und Frauen eingeladen, denen jeweils ein Bein oder ein Arm von einem Hai abgebissen worden war, und sie sollten vor den Gästen in allen Details darüber berichten. Es wurden fritierte Seegurken gedippt, und Tintenfisch-Tinte geschlürft, und der ganze Rittersaal wurde durch riesige Kandelaber aus fluoreszierenden Quallen beleuchtet. Im Ballsaal stellte ein Künstler seine Plastiken aus, die er ausschliesslich aus Dingen baute, die in Mägen von Meeresschildkröten gefunden wurden. Später würden die Gäste um diese Plastiken herumtanzen, wenn DJ Nautilus seine Wal-Gesang-Platten auflegte.

„Wer stört?“, fragte Frau Müller ins Handy. „Wer?“ Sie hatte den Namen verstanden, aber er sagte ihr nichts. Es folgte ein Bandwurm an Erklärungen. „Sie arbeiten also für uns“, sagte Frau Müller, „und in welchem Haus?“ Sie verdrehte die Augen. „Ja. In der Schweiz. Das habe ich verstanden. Aber in welchem Haus in der Schweiz?“ Wieder ein Bandwurm.  Frau Müller winkte einem Mann, der in einem Seepferdchen-Kostüm Salzwasser-Cocktails servierte. „Aha. Und was wurde gestohlen?“ Sie nahm einen Cocktail entgegen und goss aus einem Flachmann Schnapps hinein. „Und deshalb rufen sie mich an? Kindchen, sie müssen noch viel lernen.“ Damit beendete sie das Gespräch.

Mit wem sie da vorhin telephoniert habe, fragte Herr Müller, als er seine Frau beim Delphinstreicheln im Thronsaal antraf. Sie lachte nur. Er habe offenbar wieder mal jemanden aufgrund des Photos eingestellt. Aber wie dem auch sei. Es sei eingebrochen worden in der Schweiz. Aber nichts gestohlen. „In welchem Haus in der Schweiz?“ Fragte Herr Müller und verdrehte die Augen. Seine Frau winkte einen weiteren Cocktail heran und berichtete was sie wusste. „Also nur das Ankleidezimmer“, versicherte sich Herr Müller. „Kein anderer Raum. Wie etwa, keine Ahnung, der Fitnessraum?“ Seine Frau schüttelte den Kopf und liess den Flachmann wieder in ihrem Décolleté verschwinden. „Gut“, sagte Herr Müller, „das Teuerste steht ja sowieso vor dem Haus.“ Natürlich wusste seine Frau, dass der Glasengel teuer gewesen war. Aber wie teuer, das hatte er ihr immer verschwiegen. Für das Geld hätten sie locker noch ein weiteres Haus kaufen können.

„Lass uns feiern“, sagte Herr Müller und schaute sich um. Das aufmerksame Seepferdchen tippelte sofort herbei. „Das ist übrigens der Schildkröten-Plastik-Künstler“, sagte Herr Müller zu seiner Frau, „Er ist unser Nachbar in der Schweiz, wohnt schräg gegenüber.“ Frau Müller verdrehte die Augen. „Schräg gegenüber von welchem Haus in der Schweiz“.

„Vom Haus mit dem Glas-Engel“, sagte das Seepferdchen.“

„Aha, und warum tragen sie ein Seepferdchen-Kostüm?“

„Ich fand, es wäre für ihn doch eine tolle Erfahrung“, sagte Herr Müller, „wenn er sich quasi inkognito unter die Leute mischt, und so ungefiltert hört, wie seine Ausstellung so ankommt.“

Das Seepferdchen nickte und wollte gleich wieder los. „Moment“, sagte Herr Müller, und dann zu seiner Frau: „Gib mir bitte mal Dein Handy.“ Dann legte er das Handy auf das Serviertablett des Seepferdchens. „Ich freue mich schon auf ihr nächstes Werk, diesen Selbstversuch, das wird gruselig.“ Herr Müller lachte. „Und jetzt bringen sie das Handy meiner Frau bitte weg. Entsorgen sie es. Wir wollen nicht mehr gestört werden.“

Kapitel 16

Kapitel 16

Vor dem Bonzenhaus fuhr ein weisser Lieferwagen schräg aufs Trottoire und hielt an. Der Beifahrer kurbelte das Fenster runter und entliess eine Schwade Zigarettenrauch, Furz und Kebapp in die Freiheit. „Gratis zum Mitnehmen“, sagte er zum Fahrer, „sieht beschissen aus. War aber sicher teuer.“ Der Fahrer machte nur den Daumen hoch. „Erst liefern wir die Kommode.“

Der Fahrer und der Beifahrer fluchten und zogen und schoben und rissen und hievten und bugsierten eine riesige Kommode die Treppe zur Eingangstür hoch. „Wie viele Tonnen kann man wiegen?“ Fragte der Fahrer und trat gegen eine der Schublade, als sie es geschafft hatten. „Fettsack!“, sagte der Beifahrer und schlug mit der flachen Hand auf die Kommode drauf. Dann richteten sie ihre Frisuren, strichen ihre Hemden glatt, und traten vor die Kamera. „Los, klingel schon, worauf wartest du?“, sagte der Fahrer zum Beifahrer. Der präsentierte darauf seinen Mittelfinger, küsste ihn, hielt ihn dem Fahrer vors Gesicht, und drückte dann damit die Klingel. Die Melodie von „Oh When The Saints“ erklang, und dazu eine eher gewöhnungsbedürftige Stimme, die im breitesten Berndeutsch „Ou wänn de Sänn…go Mauche goht“ drüber sang. Der Fahrer und der Beifahrer schauten sich an. Dann ging die Tür auf. Und eine Bedienstete fragte auf Englisch, worum es gehe. Wieder schauten sich der Fahrer und der Beifahrer an. Beide konnten kein Englisch. Die Bedienstete versuchte es zunächst noch auf Französisch und Spanisch, ehe sie zu Hochdeutsch wechselte. Das sei eine Lieferung für die Dame des Hauses, sagte der Fahrer. Eine Überraschung, ergänzte der Beifahrer. Die Bedienstete zuckte nur mit den Schultern und hielt den beiden die Tür auf. Das Ehepaar, für das sie arbeite, sei nicht da. Die seien gerade in einem ihrer anderen Häuser, Wien oder New York oder Tokio, sie wisse es auch nicht so genau.
Was denn mit dem Engel nicht in Ordnung sei, fragte der Beifahrer die Bedienstete, als sie das Haus wieder verliessen.  Aber die meinte darauf nur, dass sie sich solche Anzüglichkeiten verbitte, und schloss die Tür.

Drei Stunden später klingelten der Fahrer und der Beifahrer erneut beim Bonzenhaus. Dieses Mal sangen sie beide mit, als die Melodie ertönte. Und als die Bedienstete die Tür aufmachte, streckte der Beifahrer ihr einen Blumenstrauss hin. Es tue ihm leid, wenn sie sich durch ihn auf irgendeine Weise belästigt gefühlt habe, das sei ein Missverständnis, er habe nicht sie gemeint, als er vom Engel sprach, sondern diese komische…aber weiter kam er gar nicht. Die Bedienstete nahm ihm den Blumenstrauss ab und liess ihn in den Schirmständer neben der Eingangstür plumpsen. Auf sowas sei sie ganz und gar allergisch, sagte sie, liess dabei aber offen, ob sie die Blumen oder den Beifahrer und seinen Entschuldigungsversuch meinte. Und dann gäbe es noch ein weiteres Missverständnis, schaltete sich der Fahrer ein, nämlich die Kommode. Die sei gar nicht für die Hausherrin dieses Hauses, sondern für eine andere Hausherrin bestimmt, peinlich, ja, aber sie hätten sich in der Adresse geirrt, sie müssten die Kommode wieder mitnehmen.

Der Fahrer legte eine alte filzige Militärdecke über die Treppe, und die Kommode schlitterte fast wie von alleine darüber hinab, Richtung Lieferwagen.

„Hat ja tipptopp funktioniert“, sagte der Beifahrer, als sie die Kommode neben den Glasengel ins Auto einluden. Dann schlug er wieder mit der flachen Hand obendrauf. „Ich hoffe, es hat sich auch gelohnt, Fettsack.“

Bei der Autobahnraststette Grauholz fuhren sie raus. Ihr Komplize war auf der Fahrt in der Kommode eingeschlafen, es war gar nicht so einfach gewesen ihn wachzukriegen. „Und?“ Fragte der Fahrer, „Hast du etwas gefunden? Sind wir reich?“ Der Komplize berichtete, wie er sich aus der Kommode schälte, nachdem die Bedienstete im grossen Schlafzimmer mit der Kinoleinwand verschwunden war. Sie habe Dirty Dancing geschaut und mitgesungen, er habe sich in aller Ruhe umsehen können. „Und?“ fragte der Beifahrer, „Schmuck? Wertpapiere? Bargeld?“ Der Komplize griff in seine Hosentasche. „Bargeld.“ Dann zog er eine Hundertfranken-Note heraus. „Reicht gerade, für was zu futtern.“

Kapitel 15

Kapitel 15

Roli isst jeden Freitag bei seinen Grosseltern zu Mittag. Und an diesem Freitag trat er ganz besonders stark in die Pedalen. Nicht nur, weil es Pommes und Chickennuggets gab. Sondern auch etwas zu erzählen: „Ihr glaubt gar nicht, was heute los war in der Schule. Sennhauser ist mit einem Bagger aufgekreuzt! Und dann…“ Aber der Grossvater hörte nur mit halbem Ohr zu. „Sennhauser. Soso.“ Er schüttelte den Kopf und zog die Nase hoch. Roli kam schon wieder mit einem platten Reifen an. Jeden zweiten Freitag flickten die Grosseltern gemeinsam Rolis Pneu. Damit musste nun ein für alle Mal Schluss sein. Der Grossvater entwickelte schon ein Magengeschwür. „Emmaschatz, ich esse später, ich mache einen Spaziergang.“ Der Grossvater holte den Reisigbesen aus der Garage und begann ab der Haustür zu wischen. Minutiös. Schritt für Schritt. Den ganzen Weg, den Roli mit dem Fahrrad zurücklegen musste. Strasse und Trottoir. Jedes spitzige Steinchen, jeder Splitter musste weg.

Mit der Zeit kam der Grossvater richtig in einen Rhythmus rein. Wie früher, als er mit der Sense den steilen Hang hinter dem Haus mähte. Und er pfiff sogar ein Lied dazu. Er konnte sich gar nicht erinnern, wann er das letzte Mal gepfiffen hatte. Das Wischen war zwar anstrenged, aber trotzdem tat es ihm gut. Nur schon das gleichmässige Geräusch vom Reisig. So bei sich war der Grossvater schon lange nicht mehr gewesen. Das musste er geniessen. Die nächsten Tage, das wusste er, würde er wohl mit Muskelkater darniederliegen. Und sich verfluchen.

Vor ihm lag noch ein gutes Stück Höhtalstrasse. Da stand ein Sofa auf dem Trottoir. Mit einem Zettel dran „Gratis zum Mitnehmen“. Was für eine Verlockung. Nicht zum Mitnehmen. Aber zumindest, um sich kurz zu setzen und auszuruhen. Aber der Grossvater blieb eisern. Er wusste, wenn er jetzt eine Pause machte, würde er nicht mehr hoch kommen. Und vermutlich war das Sofa auch voller Viehcher, so wie es aussah. Also wichschte er weiter. Bis zum Bonzenhaus. Dort stutzte er. Auf der Treppe, die zum Eingang führte, thronte eine Engelsfigur aus Glas. Das Haar dieses Engels bestand aus tausenden klitzekleinen Glasperlen. Und nun war der Fall klar. Der Grossvater musste nur abwarten, bis das nächste Auto vorbeifuhr und beobachten, was geschah. Das Windhäuchlein eines vorbeifahrenden Autos genügte, und schon kullerten einzelne Glasperlen die Treppe runter und übers Trottoire auf die Strasse. Dort zersplitterten sie dann, beim nächstmöglichen Auto, das über sie drüber fuhr, und blieben gefährlich spitzig liegen. Für Velopneus.

Der Grossvater betrachtete den Besen in seiner Hand. Er wollte eine Lösung und keine Sisyphus-Arbeit. Kurz dachte er daran, mit dem Besen auszuholen und den Engel zu zerschmettern. Aber dann hatte er eine bessere Idee, dieses Glaskunstwerk aus dem Weg zu räumen. Er ging zurück zum Sofa und holte den Zettel „Gratis zum Mitnehmen.“

Kapitel 14

Kapitel 14

Lehrer Sennhauser war kurz vor der Pensionierung. Der Arzt hatte ihm eigentlich schon lange verboten, weiterzuarbeiten. Und die Schule hatte ihm damals ein grosszügiges Angebot für eine Frühpensionierun gemacht. Aber für Sennhauser kam das gar nicht in Frage. So war er nicht erzogen worden. Er hatte schon Legionen von Schülerinnen und Schülern durch die Primarschule begleitet, da würde er diese letzte Klasse auch noch schaffen. Was man beginnt, das zieht man durch.

Natürlich hatte er seine eiserne Disziplin nicht in allen seinen Lebensbereichen aufrecht erhalten können. Eigentlich nur im Beruf. Aber er joggte nicht mehr jeden Morgen früh um fünf Uhr beim Schartenfels vorbei zum „Kalten Brünneli“ und trank dort den ersten Schluck Wasser am Tag. Und er las auch nicht mehr in Homers Ilias vor dem Schlafengehen. Auf seinem Nachttisch lag seit dieser unglücklichen Altpapier-Sammel-Aktion vor vier Jahren, ein vergilbter Calida-Katalog. Sennhauser hatte ihn heimlich aus einem Zeitungsbündel an der Höhtalstrasse geklaubt, ehe er das Bündel auf den Sammelwagen schleuderte.  Über Kopf. Dabei muss irgendetwas kaputtgegangen sein. Rechte Schulter. Bewegungsapparat. Obwohl kein Arzt etwas fand. Da blockierte etwas. Sennhauser konnte den Arm nur noch knapp auf Schulterhöhe anheben. Unter gewaltigen Schmerzen. Da half keine Pille, keine Spritze und kein Physiotherapeut. Sennhauser war sogar bei den Chinesen gewesen, zur Akupunktur, er probierte Ostheopathie und Handauflegen. Nichts. Ein absolutes Debakel für einen Wandtafel-Virtuosen wie Sennhauser.  Denn mit der linken Hand brachte er keine Schrift oder Zeichnug zustande, die seinen Qualitätsansprüchen genügt hätte. Sennhauser wurde bitter. Da vermochten auch die Calida-Unterwäschemodels nichts dagegen ausrichten.

Zum Arm kam dann noch der Rücken dazu, als Sennhauser, trotz aller Einwände von seiner Tochter und seinem Nachbarn, auf die Leiter stieg, um die reifen Äpfel von seinen Bäumen zu pflücken. Wie er es seit Jahrzehnten machte. Wie es schon sein Vater gemacht hatte. Eine Windböe müsse die Leiter umgeworfen haben, sagte er danach immer wieder, und dass die Äpfel noch nie so schön gewesen seien.

Ab da schafften es seine Schülerinnen und Schüler praktisch nicht mehr, eine Note über 4-5 zu schreiben. Er fand immer noch irgendwo einen Fehler. Und er schimpfte sie faul. Sie seien so faul, wie die Äpfel, die in seinem Garten liegen bleiben würden.

Als Lehrer Sennhauser aus dem Haus trat, sah er es zunächst nicht. Sein Rücken war dermassen krumm, dass er nur seine sorgfältig geschnürten Emilio Moros im Blick hatte. Das dunkelbraune Kalbsleder passte wunderbar zu den Buntfaltenhosen, die ihm seine Frau vor ihrem Tod noch rausgelegt hatte. Es würde ein warmer Tag werden. Die Äpfel dufteten. Dann bemerkte er den Bagger. Jemand hatte ihn mitten auf der Einfahr parkiert. Und dabei offenbar auch sein Auto gestreift. Die Baggerschaufel war randvoll mit Äpfeln. Der Schlüssel steckte noch.

Kapitel 13

Kapitel 13

Natürlich war der Autounfall einige Tage lang Gesprächsthema Nummer eins im Dorf. Es soll ein Zürcher gewesen sein. Natürlich viel zu schnell unterwegs. Und betrunken. Anstatt auf die Bremse, sei er ausversehen noch fester aufs Gas…Falsch! Kein Zürcher. Ein Neuenhofer. BMW. Tiefergelegt. Nüchtern. Habe aber am Handy rumgespielt…Nein, ein Bandbus war’s! Die seien auf dem Heimweg gewesen von einem Konzert. Und hätten noch gejammt während dem Fahren…man stelle sich vor! Falsch! Die Musik sei noch aus ihrem Kopfhörer gekommen, als sie da lag, und ein BMW-Fahrer aus Neuenhof, habe erste Hilfe geleistet und einen Bus mit Zürcher Nummernschild wegfahren sehen…aber gut, das sei ja auch nicht das Wichtigste. Das Wichtigste sei, dass die Joggerin hoffentlich bald aus dem Koma erwache, und wenigstens das linke Bein behalten könne…

In Tat und Wahrheit ging es der Joggerin verhältnismässig gut. Ihr linkes Bein war gebrochen. Und sie hatte eine Gehirnerschütterung. Zudem konnte sie sich weder an den Unfall noch an die Fahrt ins Krankenhaus erinnern. Die Ärztin im Spital erzählte ihr, dass die Zürcher Band „Tiefer gelegter BMW“ in sie reingedonnert war, weil sie offenbar am Handy rumgespielt habe und ungebremst über Rot gelaufen sei. Und die Band habe sie dann direkt mit dem Bus ins Krankenhaus gefahren, und während der Fahrt habe die Joggerin die Band aufgefordert, eine Melodie nachzuspielen, die sie vorsummte.

Der Unfall war also einigermassen glimpflich ausgegangen, aber der Gemeinderat wollte zur allgemeinen Beruhigung ein Zeichen setzen. Er brachte den Verkehrskreisel wieder auf die politische Agenda. Genau. Über den Krater bei der Kirche war längst Gras gewachsen, also wortwörtlich, nun sollte der neue Kreisel gebaut werden. Der Grabsteinmacher winkte direkt mit vier Fingern ab, als man wegen der Kreiselkunst erneut auf ihn zuging. Da hatte Rüdisüli, der für Willisau nachgerückt war, eine gute Idee. Eine Woche später fuhr ein Bagger auf. Ein kleiner Schaufelbagger.

„Jede Wette, dass der Schlüssel irgendwo hier versteckt ist“, sagte Krusel, und schwang sich in die Baggerkabine. „Da müsste ich betrunkener sein, um den nicht zu finden.“ Tatsächlich hatte Chrusel ziemlich viel Bier getrunken. Das Müllerbräu stiess ihm auf, er musste alle paar Sekunden rülpsen. „Kotz da einfach nicht rein“, sagte Hampi und half seinem Freund suchen. Er hatte selber ordentlich Schlagseite. „Wäre schon chic, wenn wir nicht laufen müssten.“ Die beiden Dorfbuben wohnten oben am Hang. Noch bei den Eltern. Sie waren siebzehn und auf dem Heimweg. Nach einer beachtlichen Tour. „Isebähnli“, „Rebstock“, „Sonnendeck“, danach ins Freibad eingestiegen, bei der langen Treppe über den Hag, dann nackt vom Fünfmeterbrett, bis sie die beiden Autolichter sahen, die von der Kanalstrasse her näher kamen. Um diese Uhrzeit konnte das fast nur die Polizei sein. Also ab. Und dann sind sie fast den ganzen Weg gerannt. Auch noch die ganze Schlösslistrasse. Bis zur Kirche.

„Ich hab ihn“, sagte Chrusel, „wusste ich’s doch“. Er faste über sich an die Decke der Baggerkabine und zog den schwarzen Gaffa-Streifen weg. Der Schlüssel klebte darin. „Taxi?“ Fragte Chrusel und klopfte Hampi auf die Schulter. „Wir haben uns heute schon genug bewegt.“

Weder Chrusel noch Hampi wussten, wie man einen Bagger fährt. Aber sie blickten auf eine lange Gamer-Kariere zurück. Sie waren schon so viele Autorennen gefahren, hatten Stunden im Flugsimulator verbracht, waren im Panzer oder Schnellboot unterwegs gewesen, mit Motocross-Bikes oder Monster Trucks, da funktionierte das mit dem Bagger sehr intuitiv.

Als sie den Bachteli-Sportplatz passierten, begannen sie in alten Erinnerungen zu schwelgen, wie sie damals noch ganze Nachmittage lang Fussball gspielt haben und dann mit erdigen Beinen und grasfleckigen Fussballhosen nach Hause hinkten, zerschunden und glücklich, und dann kamen die ganzen Schulgeschichten hoch, das Ritterlager, die Konfettischlachten am Fasnachtsball in der Turnhalle, die grossen Pausen, Hampi weinte sogar ein wenig, und dann kamen sie auf Lehrer Sennhauser, ihren ehemaligen Klassenlehrer. „Mein Bruder meint, der werde immer mürrischer“, sagte Hampi, „verteilt jetzt sogar Strafaufgaben. Und macht Überraschungsprüfungen.“ Chrusel hupte. Eine Katze flitzte ins Gebüchsch. „Am besten, wir fahren gleich mal beim Sennhauser vorbei“, sagte er, „liegt ja auf dem Weg.“

Kapitel 12

Kapitel 12

Die Joggerin joggte auf der Stelle. Sie zog dabei die Knie über Hüfthöhe, damit der Verbrennungseffekt grösser war. Niemand sah sie. Es war kurz vor Mitternacht. Sie hätte locker auch bei Rot über den Fussgängerstreifen joggen können, aber das erlaubte sie sich nicht. Sie erwartete von anderen ja auch, dass die sich an die Regeln hielten. Und eine zentrale Regel war: Wer Dreck macht, räumt ihn auf. So. Vor allem, wenn man in einer so kleinen Wohnung lebte, wie ihr Freund und sie. Dann war diese Regel fundamental wichtig. Fürs Wohlbefinden. Und da war er auch von Anfang an einverstanden gewesen. „Selbstverständlich“, hatte er gesagt, und sie danach geküsst, um sein Comittment zu unterstreichen. Und das hatte auch gut geklappt, die letzten drei Jahre. Bis heute. Die Joggerin machte jetzt Hampelmänner. Die leeren Pizzaschachteln hatte sie direkt aus dem Fenster in den Garten geschleudert. Das Restbier in den Büchsen und Fläschlein goss sie in seine Fussballschuhe, und die ganzen Zigarettenstummel vom Balkonboden, pflegte sie in die Tastatur seines Laptops ein. Klar, sie hatte keinen einfachen Tag gehabt. Und dann noch das Mitarbeiteressen. Und ein klein wenig schlug sie wohl auch den Sack und meinte den Esel. Aber das Bild, das sich ihr Zuhause geboten hatte, war nicht ok. Ihr Freund hatte ein paar Kumpels eingeladen. Grosses Geköch, mehrere Gänge, Nouvelle Cuisine. Pah! Nun würden sie wohl tatsächlich eine neue Küche brauchen. Was da ihr Freund in der Küche angestellt hat. Also wortwörtlich. Alle Herdplatten, auch den Backofen. Und dann in der Apéro-Euphorie vergessen. Alles verbrannt. Und dann Pizza bestellt. Und noch mehr Bier getrunken. Und alles stehen und liegen gelassen und ab auf die Piste. Bad Taste Party im LWB. Die Joggerin fluchte. Wie lange kann eine Ampel rot sein? Tamminomol?! Sie war auf diese nächtliche Joggingrunde, um sich abzureagieren und nicht, um sich noch mehr aufzuregen. Eminem, den sie gerade auf ihren Ohren hatte, verstummte. Der Track war zu Ende, und noch bevor der nächste auf ihrer Jogging-Playlist begann, hörte sie dieses Piano und das Saxophon. Zwei Sekunden genügten, und sie zupfte die weissen Kopfhörer aus ihren Ohren. Unterdessen war es grün geworden. Aber die Joggerin bewegte sich nicht. Auch nicht mehr auf der Stelle. Sie lauschte nur dem Piano und dem Saxophon und diese Melodie nahm sie gefangen und nahm ihr jeglichen Groll und Enttäuchung. Die Joggerin schloss die Augen und der ganze Frust des Tages fiel von ihr ab. Und dann hatte sie eine Idee. Sie zog ihr Handy hervor und öffnete das Shazam-App. Sie musste wissen, von wem dieser Piano-Saxophon-Track war. Unterdessen war es wieder rot geworden. Die Joggerin starrte auf ihr Handy. Sie versuchte die Melodie in ihrem Kopf abzuspeichern, und schaute zu, wie die App suchte und suchte. Kein Ergebnis. „Tamminomol“, sagte die Joggerin, und trat auf die Strasse. Das Auto konnte nicht mehr bremsen.

Kapitel 11

Kapitel 11

Claude konnte sein Glück kaum fassen. Er sass ganz hinten im 5er Bus, den Kopf gegen die Scheibe gelehnt, in Gedanken irgendwo zwischen Notenblättern und Klaviertasten, und da stieg sie zu. An der Bushaltestelle Gemeindehaus. Sie hatte ihr Knips-Abonnement zwischen den Lippen eingeklemmt, wie ein Pirat sein Entermesser, und drehte die Haare zu einem Dutt. Als der Bus anfuhr, kam sie kurz aus dem Gleichgewicht und machte einen Ausfallschritt. Wäre sie dabei jemandem auf den Fuss getreten, hätte ihr Absatz diesen Fuss vermutlich durchbohrt. Aber der Buss war fast leer. Und so hörten auch alle den leisen Fluch, den sie hervor zischte. Das Abonnement flatterte zu Boden und der Buschauffeur blickte in den Rückspiegel.

„Kommen sie, Fräulein Kupfer, setzen sie sich zu mir“, sagte Frau Reinert, und rutschte rüber. „Hier können sie im Sitzen knipsen.“ Frau Reinert sass immer direkt bei der Bustür. Sie hatte eine böse Hüfte. Nach eigenen Aussagen. Aber zeigen wollte sie sie niemandem. Das lohne sich doch nicht mehr. Und da hätten andere doch ganz andere Probleme. „Wie läuft’s in der Praxis?“ Fragte sie, als die Arztgehilfin abgeknips hatte. „Viel zu tun? Schlimme Fälle?“ Die paar wenigen Fahrgäste reckten ihre Hälse und lauschten gebannt. Die Arztgehilfin war es sich gewohnt. Die Neugier der Leute war gross, wenn es um Krankengeschichten anderer ging. „Also für sie würden wir bestimmt noch einen Termin finden“, antwortete sie, und dann nach einer kurzen Kunstpause, „aber heute war wirklich viel los, und…“, Kunstpause, „ich bin verliebt.“ Die Arztgehilfin zeigte Frau Reinert den Ring, den sie am linken Ringfinger trug. Das grüne Herz glitzerte. Die Hälse wurden länger. Wenn es um Liebesgeschichten anderer geht, sind die Leute noch neugieriger. „Oh, das freut mich aber, also sogar verlobt?“, fragte Frau Reinert und tätschelte der Arztgehilfin enthusiastisch den Oberschenkel. Die Arztgehilfin lachte fröhlich. „Den Antrag muss er noch machen, es ist etwas schüchtern.“

Claude drückte den Kopf noch fester gegen die Busscheibe und schloss die Augen. Die Nachricht von Fränzi Kupfers Verlobung erschütterte ihn zutiefst. Die Klaviernoten und weissen und scharzen Tasten waren weg.

Kurz nach 23 Uhr kam der Musiker nach Hause. Er hatte das Konzert einfach abgespult. Hatte seine Finger machen lassen, nie ins Publikum geschaut, den Blick zum Dirigenten gemieden, die anderen Instrumente ausgeblendet. Im Grunde war nur seine leere Hülle auf der Bühne auf dem Klavierstuhl gesessen, er selber hatte sich komplett abgemeltet, war ganz überrascht, als das Konzert dann plötzlich vorbei war. „Grossartig!“ Hatte der Dirigent ihm zugerufen, und sich eine Träne aus den Augen gewischt, und das Publikum erhob sich und zwang ihn, sich immer und immer wieder zu verneigen. Aber Claude spürte nichts. Er riss sich die Fliege vom Hals und schwartete sie in die Ecke, als er zurück in die WG kam. Sein Mitbewohner war ausgeflogen. Überall brannte das Licht. Auf dem Herd stand eine verkrustete Spiegeleier-Pfanne. Es roch nach Gras.
Claude entkorkte die Magnum-Flasche Wein, die ihm vom Konzertveranstalter überreicht worden war und stieg hinauf in den Estrich. Dort, vor dem winzigen Dreieck-Fenster, auf einem abgewetzten Teppich, stand das E-Piano seines Mitbewohners. Claude hatte noch nie auf etwas anderem als auf einem Flügel gespielt. Er trank normalerweise auch keinen Wein. Und vom Kiffen hatte er Angst. Aber als er den halb angerauchten Joint im überfüllten Aschenbecher auf dem Piano sah, wusste er, dass es nun Zeit war, diese Angst zu überwinden.

Die Melodie, die sich schon nach den ersten paar Minuten wie natürlich ergab, drang mühelos durch das dünne Glasfensterchen und ins Arbeitszimmer von Nachbar Baggenstoss. Der Altphilologe legte sein Buch weg und ging zum Fenster. Er öffnete es und summte mit. Dann holte er sein Saxophon.

Claude dachte, das käme vom Gras. Plötzlich hörte er dieses Saxophon, das seiner Melodie folgte, sie ergänzte, herausforderte, und nicht unbedingt tonsicher, eher etwas holprig, als wäre es ein wenig eingerostet. Dann realisierte er, dass da tatsächlich der Nachbar mitjamte. Von dem er nicht mal den Namen kannte. Dem er noch nie auf der Strasse begegnet war. Den er durchs Fenster immer nur für einen kauzigen Professor gehalten hatte. Und nun groovten sie zusammen in diese Nacht hinein, die noch lange nicht zu Ende war.

Kapitel 10

Kapitel 10

Brian sah den Ballon vom Schulzimmer aus. Rot war jetzt nicht gerade seine Lieblingsfarbe, aber Brian konnte trotzdem nicht wegsehen. Der Ballon brauchte offensichtlich Hilfe. Er wollte zum Himmel, steckte aber in der Baumkrone von Bäcker Lüschers Linde fest.

In der grossen Pause verliess Brian wie immer heimlich das Schulareal. Nicht wie sonst, um bei Bäcker Lüscher ein Carambar oder eine Gummischlange zu kaufen, sondern dieses Mal, um in dessen Baum zu klettern.

Brian war ein guter Kletterer. Er drückte die Beine durch und zog sich mühelos die Äste hoch. Schnell war er drei Meter und mehr über dem Boden. Zum Ballon war es nicht mehr weit. Da entdeckte Brian das Nest. Wären Eier drin gewesen, hätte er es nicht berührt. Aber da waren keine Eier drin. In dem Nest glitzerte es. Vermutlich ein Elsternnest. Und Brian erwartete, irgend ein Kaffeelöffelchen zu finden oder ein silbernes Schokoladenpapierchen oder etwas anderes glitzerndes von Bäcker Lüschers Café-Terasse. Aber er erwartete nicht diesen Ring. Es war ein ausgesprochen schöner Ring. Und das grüne Herz leuchtete richtig in der Sonne. Ja, es schien fast zu pochen.

Brian befreite den Ballon und machte sich mit dem Ring am Finger an den Abstieg. Als die Elster das vom Dach gegenüber sah, wusste sie sich nicht anders zu helfen, als mit ihrem Schnabel. Erst stiess sie ein paar Mahnungen aus. Dann Drohungen. Und dann pfiff sie auf diese Art der Konfliktlösung. Ein Flügelschlag, und sie war bei Brian. Zweimal auf die Finger gepickt, und Brian lies los. Er rutschte halsbrecherisch den Stamm runter, schürfte sich die Unterarme und den Bauch auf, und ein etwa drei Zentimerter langer Holzspriessen drang in die Innenseite seines rechten Oberschenkels ein, direkt neben dem Hodensack, und brach ab.

Nach der grossen Pause kehrte Brian nicht ins Schulzimmer zurück. Er wird wohl noch auf dem Weg zurück sein von Bäcker Lüscher, dachte sie, und gönnte ihm diese Extraminute Abenteuer und Freiheit.

Aber Brian sass bereits im Wartezimmer des Dorfarztes. Also, er stand. Sitzen konnte er nicht mehr. Jedenfalls nicht, ohne zu jaulen. Und jaulen verbat er sich. Er wollte tapfer sein, vor der Arztgehilfin. Frau Kupfer sass hinter der Anmelde und telefonierte. Immer wieder schaute sie auf, zum Wartezimmer, und das durfte Brian auf keinen Fall verpassen. Er liess keinen Blick von ihr. Er starrte sie an. Noch nie hatte er eine so schöne Frau gesehen. Und sie war nicht einmal so viel grösser als er.

Als der Doktor Brian ins Untersuchungszimmer bat, gab sich Brian grosse Mühe, beim Laufen nicht so sehr das Gesicht zu verziehen. An der Anmelde vorbei versuchte er sogar ein Lächeln, und ging auf die Zehenspitzen.

Den Schrei, bei dem kleinen Schnitt mit dem Skalpell, und als der Doktor dann den Spriessen mit der Pinzette rauszog, hörte man bis ins Klassenzimmer, wie Brians Schulkameraden später behaupteten. Dafür gab es ein Carambar aus der Süssigkeitenbox des Doktors. Überreicht von Frau Kupfer. Und Brian war glücklich. So glücklich, dass er den Ring vom Finger zog, und ihn in Frau Kupfers Kaffeekässeli plumpsen liess.

Kapitel 9

Kapitel 9

Einem kam dieser Höllenlärm gerade recht. Dank der bellenden Hunde, brauchte er nicht einmal sein filigranes Einbrecherwerkzeug auszupacken, das er sich extra noch auf tutti besorgt hatte. Er wartete einfach den nächsten Glockenschlag ab, und trat das Fenster ein. Schon war er drin. Ok, es wäre wohl besser gewesen, er hätte Stiefel getragen. Und keine Converse. Wenigstens waren sie schon rot.

„Was machen sie in meiner Waschküche?“, fragte Frau Schaufelberger, und knippste das Licht an. „Oh, sie bluten ja, junger Mann, brauchen sie Hilfe?“ Das sei nicht nötig, antwortete der Einbrecher, es kribbele nur ein wenig. Dann sackte er bewusstlos zusammen, und streifte mit dem Kopf den Tumbler.

Als er aufwachte lag er auf dem Waschküchenboden. Ein Stapel gebügelter Geschirrtücher als Kissen. Zugedeckt mit einem frischgewaschenen Bademantel. Um seine rechte Wade ein Druckverband. Und auf der Stirn ein gefrorenes Stück Kalbfleisch. „Ich konnte sie nicht hochtragen“, sagte Frau Schaufelberger, „aber wenn sie sich kräftig genug fühlen, dann schliessen sie sich mir doch an. Ich reiche heissen Whisky auf der Dachterasse, mein lieber Martin schwor zeitlebens darauf.“ Ach ja, und ob er wohl so lieb wäre, gleich um die Ecke im Vorratskeller, dort finde er einen vollen Helium Tank, den würde sie oben auf der Dachterasse brauchen. Danke. Damit verschwand sie. Ein Lied trällernd.

„Sind sie Schriftstellerin?“ fragte der Einbrecher, als er zu Frau Schaufelberger an den Tisch trat. Sie schrieb den Satz fertig und schaute von ihrem Notizbuch auf. „Dann würde ich wohl kaum in dieser riesigen Villa wohnen“, antwortete sie. „Sie können übrigens alles mitnehmen, was sie wollen, ich brauche nichts mehr von alledem.“

Sie habe vorher Whisky erwähnt, da würde er nicht nein sagen. „Darf ich?“ Der Einbrecher setzte sich zu Frau Schaufelberger an den Tisch und lagerte sein Bein auf dem Heliumtank hoch. „Das Fenster in der Waschküche ersetze ich natürlich, es tut mir sehr leid.“ Frau Schaufelberger winkte ab. Er habe ihr schon sehr geholfen mit dem Heliumtank. Und Gesellschaft hätte sie auch nicht jeden Tag. Sie schenkte dem Einbrecher zwei Fingerbreit ein. „Wollen sie auch einen Gruss losschicken?“ Der Einbrecher verstand nicht. Frau Schaufelberger zupfte einen leeren Luftballon aus dem hinteren Teil ihres Notizbuches und warf ihn über den Tisch. „Füllen sie den bitte mal.“ Dann riss sie einen Streifen Stoff vom Tischtuch ab. Sie rollte die Notiz, die sie vorher gemacht hatte, zu einem Röhrchen, band den Stoff drum, und das andere Ende des Stoffs schliesslich an den Ballon. „Es gibt in ihrem Leben doch sicher auch jemanden, den sie vermissen, oder etwa nicht?“ Sie liess den Ballon los, und zusammen mit dem Einbrecher blickten sie ihm nach, wie er im Abendhimmel verschwand. „Wissen sie“, sagte Frau Schaufelberger, „ich schreibe meinem Martin jeden Abend vor dem Schlafengehen.“

Kapitel 8

Kapitel 8

Der Historiker hatte so eine Lesebrille mit Magnetverschluss in der Mitte. Und alle paar Minuten zog er sie über seiner Nase auseinander, hielt kurz inne, und liess sie dann wieder zusammenschnappen. Das war wie ein nervöser Tick. Er selber bemerkte es vermutlich gar nicht mehr. Aber der gesamte Gemeindesaal schon. Niemand konnte seinen Ausführungen folgen. Ich zum Beispiel überlegte, ob ich ihm die linke Brillenhälfte ins linke Nasenloch und die rechte Brillenhälfte ins rechte Nasenloch versorgen sollte. Der Typ machte mich so hippelig, ich hatte Schweissausbrüche. Er zeigte völlig überladene PowerPoint-Slides, Schriftgrösse acht, und las sie integral vor. In der Geschwindigkeit eines Erstlesers. Wobei er jedes Wort exakt genau gleich betonte. Mit seiner näselnden Stimme. Zum Glück brannte nach zwanzig Minuten die Beamer-Lampe durch, sonst hätte es vermutlich Ausschreitungen gegeben. Nun gut. Er war der Mann der Stunde, keine Frage. Denn er hatte das Rätsel um die Glocke und den Knochenmann relativ schnell gelöst. Hanspeter und Salomé Richter hatten doch tatsächlich den legendären ersten Glockenwart des Dorfes ausgegraben, samt der verschollenen Kirchenglocke. Der Glockenwart hatte diese Glocke vierzig Jahre lang geläutet. Und als er starb, baten seine engsten Freunde um Erlaubnis, die Glocke mit ihm zu begraben. Sie hatten sogar schon eine schwarze Schleife mit einem schönen Spruch drauf gemacht, die sie um die Glocke binden wollten. Aber der damalige Gemeinderat lehnte das Begehren ab. Ein paar Tage später war die Glocke weg. Geklaut. Und natürlich wussten des Glockenwarts Freunde von nichts. Der Glockenwart wurde feierlich auf dem Friedhof beigesetzt und die Glocke blieb verschwunden. Aber jetzt ist klar, und eine Exhumierung hat das bestätigt, der Sarg, der damals ins Grab des Glockenwarts hinunter gelassen wurde, war leer. Und der Glockenwart wurde zusammen mit seiner geliebten Glocke, von seinen engsten Freunden, auf dem Feld draussen begraben.

Der Historiker bekam für seine ausgiebigen Recherchen, und als Dank, vom Gemeinderat ein Taschenmesser mit dem Gemeindewappen darauf. Nach dem Apéro Riche, den die Frau von Gemeinderat Willisau organisiert hatte, trat Willisau selbst vor die Medien. Er diktierte der Praktikantin des Lokalblatts in die Feder, dass er, Willisau, dafür sorgen werde, dass die wiedergefundene Kirchenglocke wieder im Kirchturm läuten werde, und dann gab er ihr noch Anweisungen fürs Photo. Sie kennen es.

Tatsächlich hielt Willisau Wort. Nachdem seine Frau ein paar Telefonanrufe gemacht hatte, baumelte die historische Glocke wieder im Kirchturm. Und natürlich liess Willisau es sich nicht nehmen, sie als erster zu läuten. Er wartete schön, bis sich das ganze Dorf versammelt hatte, dann legte er los. Bereits beim ersten Glockenschlag begannen sämtliche Hunde durchzudrehen. Das Gebell war ohrenbetäubend. Ein Gekläffe und Gejaule. Man hielt es nicht aus. Und für Gemeinderat Willisau hatte politisch, das letzte Stündlein geschlagen.

Kapitel 7

Kapitel 7

Hanspeter Richter war auf dem Weg ins Body Pump. Sie kennen das. Eine knappe Stunde Mittagspause, einen Salat to go, die Trainingstasche direkt übers Jacket, das Handy am Ohr. Und dann sah er sie. Im Vorbeigehen. Im Schaufenster. Die grüne Lady. Den perfekten Ring.

Vermutlich hat er dafür zu viel bezahlt. Viel zu viel. Aber das Geld reute ihn nicht. Er hätte dem Juwelier im Nachhinein auch das zehnfache dafür gegeben, denn Salomé sagte „ja“. Und sie fand den Verlobungsring so schön, dass sie ihn auch gleich als Hochzeitsring behalten wollte.

Die Hochzeitszeremonie fand draussen statt. Oben am Hang. Der Stoller Chrigu hatte extra ein riesiges Herz aus seinem Feld gemäht, der beste Freund des Trauzeugen rockte mit seiner Reggae-Band, und ein professioneller Photograph filmte mit einer Drohne. Die Braut war schwanger, aber durfte es noch niemandem sagen. Weshalb sie jedes Glas, das man ihr anbot, heimlich mit dem leeren Glas des Bräutigams tauschte. Der Bräutigam war entsprechend locker drauf. Zum Eheversprechen musste man ihn stützen.

Dann warf Salomé den Brautstrauss. Natürlich rückwärts und hoch über den Kopf. Das Schleierkraut, die weissen und rosa Pfingstrosen und die Eukalyptuszweige wurden durch die Propeller der Drohne regelrecht gehäkselt, und rieselten auf die Gäste nieder. „Oha“, versuchte der Bräutigam die Stimmung zu heben, „Schnittblumen.“ Es misslang. Die Braut weinte. Aber nicht so sehr wegen der Blumen, sondern viel mehr wegen des Rings. Der war ihr nämlich beim Wurf vom Finger gerutscht und lag nun irgendwo in Stoller Chrigus Feld.

Die Drohne filmte schliesslich, wie die gesamte Hochzeitsgesellschaft auf allen Vieren das Feld absuchte. Es sah aus, wie eine sehr gut gekleidete Herde Schafe.

Als es dunkel wurde, brachen sie ab. Aber Hanspeter versprach seiner Frau, einen Metalldetektor für den nächsten Tag zu organisieren.

Sie brauchten nicht mal lange zu suchen. Schon nach wenigen Minuten gab der Metalldetektor an. Hanspeter war erleichtert. Er kämpfte gegen Übelkeit und war immer kurz davor, sich zu übergeben. Die doppelte Ration Alkohol steckt auch ein gepumter Körper nicht einfach so weg. Sie kennen das.

Es piepste also. Aber an der Stelle im Feld fanden sie nichts. Sie begannen mit den Händen zu graben. Unlogisch natürlich. Wie sollte der Ring unter die Erde gekommen sein? Aber es piepste ja, da musste was sein. Ihre Fingernägel waren schon schwarz. Immer noch nichts. Jedoch wurde das Signal stärker.

Die Hacke und die Schaufel kriegten sie von Chrigu. Aber er nehme sie nur gereinigt zurück, sagte er. Und lachte. Ein Scherz. Sie sähen so Ernst aus. Das sei nicht gut, schon am ersten Tag nach der Hochzeit.

Nach ungefähr zwei Metern hatte Hanspeter keinen Kater mehr, und seine Hacke traf auf etwas metallenes. Jetzt half auch Salomé wieder mit. Wenn schon nicht den Ring finden, dann vielleicht wenigstens einen Schatz. Und Tatsächlich. Nach zwei weiteren Stunden hatten sie etwas aussergewöhnliches freigelegt. Eine riesige bronzene Glocke. Und daneben. Ein Skelett.

Kapitel 6

Kapitel 6

„Tja“, sagte der Juwelier und nahm einen beachtlichen Schluck aus seinem Whiskyglas, „wo wir gerade von Raubgut sprechen, so vergesse ich nie die Geschichte, die meinem Ur-Grossvater mütterlicherseits widerfahren ist, ganz üble Sache, ein Skandal, im Grunde, weil bis heute ungesühnt.“ Er versank noch tiefer in seinen Büfelledersessel und griff nach der dicken Zigarre, die vor ihm im Aschenbecher qualmte. „Ungesühnt!“, wiederholte er und dann schüttelte den Juwelier der schlimmste Hustenanfall, den ich je erlebt hatte. Wirklich. Krümmte sich regelrecht, der Juwelier. Und anschliessend brauchte er sein Taschentuch. Und einen weiteren Schluck Whisky. „Ungesühnt macht ungesund“, sagte er, und dann hob er zu der Geschichte an. Vermutlich zum millionsten Mal. Natürlich hatte ich sie auch schon gehört. Sie vermutlich auch. Mit dem Pechklumpen. Und dem Hans. Und diesem grünen Diamanten in Herzform. Der grünen Lady. Sie kennen es. Man kommt ja nicht drumherum, wenn man hier lebt. Nun gut. Der Juwelier wird verfolgt von den Geistern der Vergangenheit. Wie vermutlich jeder von uns, ein Stück weit. Aber bei ihm ist der Grad der Besessenheit schon erschreckend gross. Das geht ins medizinische. Sie müssten mal die Wände in seinem Backoffice sehen. Voller Zeichnungen. Handzeichnungen mit Bleistift, mit Kohle, mit Pinsel. Ganze Aquarelle, und dann wieder wütend hingtuschte Horrorbilder. Vom immer gleichen Motiv. Der grünen Lady. Und da stehen ja auch Skulpturen. Hunderte! Er hat diesen grünen Diamanten geschnitzt und getöpfert und gegipst. Er hat ihn aus Stein gehauen und mit Plastilin geknetet, er hat ihn gekleistert und gestrickt. Der Mann ist ganz klar…äh. Lassen wir das. Ich will hier auch nicht..also, was er sicher ist, und das unterschreibe ich, der Mann ist ein Künstler. Aber sicher. Durch und durch. Und deshalb konnte er auch nicht anders. Als ihm der Kremator diesen Ring brachte. Er musste ihn verändern. Er musste ihn zerstören und wieder neu erschaffen. Er musste ihm eine neue Seele geben. Und natürlich musste ein kleiner grüner Diamant obendrauf. In Herzform. Ja. Und dann legte er diesen Ring auf ein Samtkissen in seinem Schaufenster. Und wissen sie was? Es dauerte nicht lange, da ging die Klingel über der Tür.

Kapitel 5

Kapitel 5

„Wenigstens nimmst du es nicht von den Lebenden“, sagte ich zu ihm. Fand er aber gar nicht lustig. Der Kremator. Und beteuerte, dass er kein Dieb sei. Nur dieses eine Mal habe er sich nicht beherrschen können. Sonst liefere er immer alles ab, was er in der Asche findet. Und ich glaube es ihm. Er ist ja auch nicht zu beneiden. Immer um den Tod rum. Tagsüber. Und abends dann, um den Rouletttisch.

Er findet also in Kleopatras Asche diesen Ring. Und der Treuhänder hat auf seine Treuhänder-Art klar gemacht, dass er einen Freundschaftsdienst erwartet. Also keine Bezahlung. Klar, dass sich der Kremator dann diesen Zustupf des Schicksals nicht entgehen lässt. Vor allem auch, bei seinem Schuldenberg.

Jetzt musste er den Ring nur noch zu Geld machen. Aber wie? Der Pfandleiher schied schon mal aus. Jahrelang war der Kremator sein bester Kunde gewesen. Aber letzte Woche wurde der Pfandleiher leider zum Kunden des Kremators. Erschlagen. Von einer Standuhr, die er entgegen nahm. Und die nicht mehr gut stand.

Zum Goldhändler wollte er nicht. Der war stadtbekannt für seine Ehrlichkeit. Dem hätte er im Minimum einen Kaufvertrag zum Ring mitliefern müssen. Zudem mochten sie sich schon in der Schule nicht. Der Kremator hatte einmal einen Penis auf die beschlagene Autoscheibe des Rektors skizziert. Mit Schamhaaren und allem. Und der Goldhändler hatte ihn verpfiffen. Man muss sich das vorstellen. Wegen einer Pfeife – verpfiffen. Per eingeschriebenem Brief. Was für ein Pfeifensack.

Blieb der Juwelier. Da musste der Kremator einfach zwei Stunden einrechnen. Mindestens. Und einen Kater am nächsten Tag. Was der Juwelier quasseln konnte. Und kippen. Und dann rauchte er ja auch noch diese Zigarren. Sie kennen es. Wirklich. Der Laden vornedurch picobello. Aber hinten! Sozusagen im Backoffice. Sodom und Gomorrha. Eine Räuberhöhle des Grauens.

Aber gut. Der Kremator kriegte schliesslich 500.- auf die Hand. Und weit musste er ja nicht, um seine Schulden zu tilgen. Oder zumindest einen Teil. Nur ein paar Meter den Hang hoch. Dann trat er ins Casino.

„Ich dachte, du wolltest dich sperren lassen“, sagte sein Casino-Kumpel und klopfte mit der Hand auf den freien Platz neben sich. „Die Kaiserin schickt mich“, antwortete der Kremator. „Kleopatra“. Und setze alles auf rot.

Kapitel 4

Kapitel 4

Lilly Kneubühler sagte mir, sie vermute Gift. Sie könne es nicht beweisen. Jetzt sowieso nicht mehr. Aber da laufe ziemlich sicher ein Mörder frei herum. Trotzdem sei sie glücklich. Es gehe ihr so gut wie schon lange nicht mehr.

Sie hatte Kartoffelsalat gemacht und ein gutes Stück Rindfleisch auf dem Grill. Es war kein Date. Explizit nicht. Sie kennen es. Es war ihr Treuhänder. Und sie hatte ihn zum Mittagessen eingeladen. In den Garten. Einmal ohne Ordner und Notizblock und Taschenrechner und Kugelschreiber. Er kam sogar ohne Krawatte. Ganz locker eben. Ein lockeres Treffen zum Mittagessen. Mehr nicht. Und dann sassen sie da. Führten die Gabel zum Mund. Ab und zu die Serviette. Dann wieder mal ein Schluck aus dem Wasserglas. Wein gab es nicht. Und auch fast kein Gespräch. Zum Glück surrte es im Garten von all den Bienen und es zwitscherten Vögel und die Nachbarn hatten den Rasensprenger an, sonst wäre es vermutlich zu unangenehm still gewesen. So schätze ich es ein. „Wein?“, fragte Lilly, als sie es fast nicht mehr aushielt, „ich habe sogar noch einen offen.“ Und der Treuhänder nickte freudig, doch dann erstarrte er. Eine rote Katze war durch die Hecke geschossen und machte nun vor ihm den Buckel. „Keine Angst“, sagte Lilly und lachte, „das ist meine Kleopatra, die macht nichts, oder sind sie etwa allergisch?“ Der Treuhänder verneinte. Er sei nicht allergisch. Aber ob vielleicht die Katze allergisch sei? Auf irgendetwas? Sie habe ja schon Schaum vor dem Mund. Und jetzt würge sie. Und röchle. Als ob sie jeden Moment ersticke. Ihm käme das ein wenig gruselig vor. „Das ist völlig normal“, sagte Lilly, „jetzt kommt dann ein rotes Haarknäuel. Sie werden sehen. Ich hole den Wein.“

Aber es kam kein rotes Haarknäuel. Und als Lilly mit dem Wein kam, liess sie ihn fallen. Denn Kleopatra die Katze, war mausetot.

Und so verhalten der Mittag begonnen hatte, so emotional nahm er seinen Lauf. Dieser tragische Katzentot schweisste Lilly und ihren Treuhänder fast instantan zusammen. Er tröstete sie, half überlegen, was nun zu tun sei und blieb dicht an ihrer Seite. Schlussendlich nutzte er auch einen seiner Kontakte, um Lillys Wunsch zu erfüllen. Sie wollte Kleopatra in einer Urne bei sich haben. „Das klappt schon“, sagte der Treuhänder. „Der Kremator ist mir noch einen Gefallen schuldig.“

Ja. Und so sind sie also hin. Zum Krematorium. Also, zum richtigen. Ganz genau. Noch am selben Nachmittag. Mit den Fahrrädern. Die Katze auf dem Gepäckträger. Und danach kehrten sie mit der Urne und Kleopatras Asche in Lillys Garten zurück. Da waren sie schon per Du. Und der Treuhänder blies in die Glut. Und Lilly nahm seine Hand, und fragte, was er denn von einem lockeren Frühstück halten würde.

Und nicht weit entfernt, drehte der Kremator einen Ehering zwischen seinen Fingern hin und her und fragte sich, wie dieser Ehering wohl in die Katze gekommen war. Hatte sie ihn gefressen? Zweifellos war sie daran erstickt. Ihr Pech. Sein Glück. Er wusste schon genau, was er damit tun würde.

Kapitel 3

Kapitel 3

 

Mein Name ist Gaius Gruber. Eigentlich war ich Dorfpolizist. Aber eben nicht nur. Ich war auch Hebamme und Beichtvater. Ich war Schicksalsgöttin und Seelenklemptner. Und Schiedsrichter am jährlichen Grümpelturnier. Ich habe viel erlebt in diesem Dorf. Aber was ich hier schildere, ist mein strubster Fall.

Alles begann mit einem Geschenk. Mit einer halben Million Schweizerfranken. Für die Gemeinde.

Und der erste, der von diesem Geld profitierte, war der Grabsteinmacher. Pardon. Der Bildhauer. Darauf besteht er. Er mache Skulpturen, bedeutende Werke, Grabsteine mache er nur am Rande. Zudem habe er jahrelang als Bühnenbildner gearbeitet, er habe eine klassische Ausbildung usw., Sie kennen es. Im Dorf jedenfalls, nennen ihn alle nur „Grabsteinmacher“, weil er tatsächlich ausser Grabsteinen keine anderen Aufträge kriegt. Bis eben, zu diesem Geld-Geschenk. Ja. Jetzt könne man doch endlich diesen Kreisel bauen, bei der Kirche, hiess es plötzlich im Gemeinderat, jahrelang hatte man sich deswegen gezankt, jetzt aber hü! Und der Grabsteinmacher soll die Kreiselkunst liefern. Eine Skulptur. Ein bedeutendes Werk. Etwas, das zur Kirche passt.

Und so einigte man sich auf ein Denkmal für John Godric Ethelberg, den 4. Earl of Beton, und gab dem Grabsteinmacher den Auftrag.
Natürlich war der erst einmal einen Monat lang gelähmt vor Angst. Er erzählte mir, wie er nächtelang wach lag, nichts mehr essen konnte, an sich und seiner Kunst zweifelte. Doch schliesslich küsste ihn die Muse. Oder besser gesagt, eine der Musen, die er Dank dem grosszügigen Vorschuss, regelmässig im Goldwand Club besuchte. Und er machte sich wie ein Besessener ans Werk.
Am Vorabend der feierlichen Einweihung traf ich ihn nochmals an. Es war kurz vor 18h. Ich patrouliere also am verhüllten Denkmal vorbei (Gemeinderat Willisau hatte auf der Verhüllung bestanden und eigens dafür ein von seiner Frau gebügeltes Leintuch zur Verfügung gestellt), da schlurft der Grabsteinmacher herbei, in seiner geknickten Art, und bittet mich, nochmals einen kurzen Blick auf sein Werk werfen zu dürfen. Der Mann schien nervös. Völlig verständlich. Seine Grabsteine kamen immer gut an. Aber als Kreiselkünstler musste er sich erst noch beweisen. Das war Neuland. Aber dann kommt der unter dem weissen Leintuch wieder hervor, gäll, ich behaupte mal, weisser als das Leintuch selbst. Ja. Und das war nicht mehr nur Nervosität. Das war nackte Panik. Und sofort kribbelte mein linker Hoden. Verzeihen Sie, aber der kribbelt immer, wenn etwas faul ist. Und immer der linke. Keine Ahnung wieso. Aber Tatsache ist, der linke Hoden kribbelte. Und tatsächlich. Nur ein paar Stunden später passierte es ja dann. Der Knall war bis nach Neuenhof und Freienwil zu hören. Ich also direkt mit Donnerpfeil los, aber bis wir beim Kreisel ankamen, schaulustigte schon das ganze Dorf um den Krater herum. Und zuvorderst. Der Grabsteinmacher. Heulte gotterbärmlich. Jemand habe sein Denkmal in die Luft gesprengt. Sein bisher grösstes Werk. So etwas bringe er nie mehr zustande. Gottseidank sei wenigstens niemand zu Schaden gekommen. Und japste nach Luft. Und natürlich ging es gleich los mit Verdächtigungen. In alle Richtungen. Sie kennen es.
Offiziell wurde der Fall nie aufgeklärt. Ich hielt das für besser so. Aber natürlich schnappte ich mir den Grabsteinmacher, als sich die Lage etwas beruhigt hatte, und klopfte ihm ordentlich auf die Finger. Also, wirklich. Mit einem Lineal. Wie mein Lehrer früher in der Schule. Und wie ich vermutet hatte, gab einer der Finger nach. Der Ringfinger der linken Hand. Zerbröselte wortwörtlich vor meinen Augen. Ja. Der Grabsteinmacher hatte ihn in aller Hast selber gebastelt. Aus Sägespähnen und Weissleim und weiss der Gugger was allem. Da kam ihm seine Bühnenbildner-Erfahrung zugute. Nur sein Weinen hatte ihn verraten. Wie der vor seinem zerstörten Denkmal geheult hat, das war nicht nur seelischer Schmerz, das war vor allem körperlicher Schmerz. So etwas höre ich heraus. Die Nuancen des Weinens kenne ich gut. Sagen wir’s mal so. Ich hatte nicht die schönste Kindheit.

Der Grabsteinmacher verliert also seinen Ringfinger samt Ehering. Oder besser gesagt, sprengt ihn sich aus Versehen weg. Seine Skulptur jedoch, zerstört er mit voller Absicht. Aber warum? Ich gebe zu, ich habe mir die Skulptur trotz Verhüllungs-Vorschrift angesehen, hässlich war die nicht. „Das Datum, sagte der Grabsteinmacher. Jeder Mensch mit auch nur rudimentärer Schulbildung wisse doch, dass John Godric Ethelberg, der 4. Earl of Beton am 5. Oktober 1263 geboren sei, und nicht am 6.!! Nie sei ihm so etwas bei einem Grabstein passiert, aber bei dem Denkmal habe er doch tatsächlich das falsche Datum eingemeisselt. Nicht auszudenken, das ganze Dorf schaut zu, und im Moment, wo das Leintuch fällt, wird jedem sofort klar, dass da ein falsches Datum steht. „Ich wäre gestorben vor Scham“, sagte der Grabsteinmacher.

Den Sprengstoff für die ganze Aktion habe er aus der Garage vom Böller-Kari gemopst, verriet mir der Grabsteinmacher, als ich ihn noch ein wenig ausquetschte. Also, seine Hand. Er habe mit dem Böller-Kari etliche WK’s absolviert, als Sanitäter, und der habe doch immer irgendwelche Handgranaten aus dem Zeughaus mit nach Hause genommen. Das war mir neu. Aber mir wurde dafür auch klar, wie der Grabsteinmacher es geschafft hatte, trotz Fingerverlust nicht auf dem Notfall zu landen. WK als Sanitäter. Offenbar haben die dort doch etwas gelernt, und sich nicht bloss die Rübe weggekifft, wie unsereins bei den Grenadieren. Aber gut. Ich habe ihn dann noch auf eine Stange eingeladen, ins „Schief“. Und dann ging es ja noch weiter. Also, nicht ins „Goldwand“. Mit der Geschichte.

Kapitel 2

Kapitel 2: 

Dorfpolizist Gaius Gruber hatte eine Uniform-Dispens. Ja. Denn er kriegte von Uniformen Ausschlag. Und zwar ganz gewaltig. Golfballgrosse Furunkeln am Gesäss. Da half kein Antibiothika, keine Kamille, kein Thermalwasser. Nur Ausziehen. Und so trug er im Dienst immer nur Jeans, ein weisses Hemd, das ihm über den Bauch spannte, und eine Polizeimütze. Die aber liess er immer auf. Sie wärme so schön sein Gehirn, sagte er immer, und halte es auf Betriebstemperatur. Ja, klar. Die Gemeindepräsidentin wusste, er wollte seine Glatze nicht zeigen. Und deshalb war ihr das jetzt auch nirgends recht. Gruber lag ausgestreckt auf seinem Bett. Die Polizeimütze tief ins Gesicht gezogen. Als würde er schlafen. „Bitte verzeihen sie“, sagte die Gemeindepräsidentin, hob die Mütze weg und warf sie wie einen Frisbee auf den Ledersessel in der Ecke. Grubers Augen waren zum Glück zu. Er sah friedlich aus. Obwohl es keinen Zweifel gab, fühlte die Gemeindepräsidentin nach seinem Puls. Erst am Hals. Dann am Handgelenk. Er war schon kühl und starr. Und er roch penetrant nach Eau de Toilette. Das Chanel Bleu vermischte sich mit dem Duft der farbigen Duftbäumchen, die über dem Dorfpolizisten von der Decke baumelten. Gruber musste sie extra besorgt haben. Er hatte bestimmt keine Auto-Duftbäumchen vorrätig Zuhause. Wozu auch? Sein Auto hatte er schon vor Jahren geschrottet. Bei dieser unsäglichen Verfolgungsjad, die in der Limmat endete. Aber gut. Die Gemeindepräsidentin zupfte die Duftbäumchen von der Decke, öffnete das Fenster und warf alle, eingewickelt in ihr Stofftaschentuch, nach drausen. Dann ging sie in die Küche und suchte Wein.

Gruber und sie traten fast gleichzeitig in den Dienst der Gemeinde. Das war vor zehn Jahren. Sie damals knapp dreissig. Er fünfzig. „Erzählen sie mir etwas von sich“, forderte die Gemeindepräsidentin Gruber auf, als er sich bei ihr vorstellte, „schiessen sie los.“ Und Gruber erst einmal sprachlos. „So etwas, mit Verlaub“, antwortete er schliesslich, „sollte man nie zu einem Polizisten sagen, „schiessen sie los.“ Da war das Eis gebrochen.

Die Gemeindepräsidentin entkorkte einen Goldwändler. Sie stürzte das erste Glas und schenkte grosszügig nach. „Gopfertelli, Gruber“, sagte sie, und nahm die Flasche gleich mit.

Unschön war natürlich gewesen, dass Grubers allererster Fall, sie selber betroffen hatte. Ja. Für beide nicht so lustig. Obwohl der Sachverhalt eindeutig war. Anfangs: Sie war damals mit einem sehr wohlhabenden Mann zusammen und fand heraus, dass er eine Affäre hatte. Im Affekt schlug sie ihn mit seinem Laptop k.o., eine Woche später zog sie bei ihm aus. Aber jetzt kommt’s. Am Tag als sie auszog, wurde von seinem Konto eine halbe Million Franken auf ihr Konto überwiesen. Wohl aus schlechtem Gewissen. Und um die Wellen zu glätten. Wie sie dem Verteidiger später gegenüber vermutete. Aber sie wollte dieses „Schweigegeld“ nicht. Und deshalb überwies sie die gesamte Summe direkt weiter, von ihrem Konto auf das Gemeindekonto, und schenkte das ganze Geld dem Dorf. Nur gingen dann die Aussagen auseinander. Der Ex-Freund behauptete, sie habe sich das Geld selber überwiesen, ohne sein Wissen, sie habe es von seinem Konto gestohlen. Und sie sagte, das sei schlicht eine Lüge, sie kenne ja nicht einmal sein Passwort. Es stand Aussage gegen Aussage, und der arme Gruber musste mithelfen, ihre Wohnung zu durchsuchen, und ihr Büro, und ihr Handy, es war wirklich sehr unangenehm. Und das für nichts. Denn am Schluss wurde das Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt. Punkt.

Die Gemeindepräsidentin stellte die Weinflasche und das Glas auf den Beistelltisch neben dem Ledersessel. Jetzt war sie bereit. Als erstes griff sie nach dem Zettel, der wie ein Einstecktuch aus Grubers Brusttasche hervor schaute:

 

Liebe Gemeindepräsidentin

Bitte entschuldigen Sie meine Unpässlichkeit. Ich hätte mich gerne persönlich von Ihnen verabschiedet, nach all den Jahren. Aber, ja nu. Jetzt ist es halt so. Ich hoffe, ich rieche noch nicht allzu sehr. Ich habe extra mein ganzes Parfüm für Sie aufgebraucht. Und die Bäumchen aufgehänkt. Ich hoffe, Sie konnten darüber lachen. Wenn nicht, bedienen Sie sich bitte an meinem Weinregal, wenn Sie das nicht schon gemacht haben. Haha. Das Zeug muss weg. Genau wie ich. Und damit komme ich gleich zur Sache. Zu meinem letzten Willen. Achtung: Ich möchte, dass Sie mich auf dem Sportplatz, unter der Bachteli-Wiese, begraben. Ganz genau. Mir ist bewusst, dass das illegal ist und wohl auch logistisch nicht ganz einfach, aber Sie werden sicher einen Weg finden, ich verlasse mich da auf Sie. Ich möchte die Kinder spielen und über mich hinwegrennen hören, ich halte nichts von Totenruhe, sonst werde ich noch einsam. Sie wissen, wie mir das jährliche Grümpelturnier am Herzen liegt. Lag. Gelegen hat. Sie verstehen mich. Wenn ich schon nicht mehr den Schiedsrichter geben kann, dann möchte ich die Spiele ab jetzt wenigstens von unten her mitverfolgen können. Und noch etwas. Bitte kümmern Sie sich um Donnerpfeil. Dieser Schnüggel ist der beste Freund, den man sich wünschen kann.

Fällt mir gerade ein, können Sie meine Schrift überhaupt lesen? Sonst hätten wir nämlich ein Problem. Können Sie? Bitte geben Sie mir ein Zeichen. Wenn Sie meine Schnürlischrift lesen können, dann bitte pfeifen Sie jetzt dreimal laut hintereinander mit zwei Fingern, Sie können das doch so gut. Bitte.

Die Gemeindepräsidentin blickte auf. Schaute Gruber an. Stubste ihn. Schaute im Zimmer umher. War das sein Ernst? Nun gut. Gruber war Gruber. Er war immer für eine Überraschungen gut. Sie drückte also Daumen und Mittelfinger gegeneinander und pfiff dreimal so laut, dass es vermutlich bis nach Wettingen hallte.

Ihre Ohren hatten noch nicht aufgehört zu surren, da erschien Donnerpfeil am offenen Fenster. Im Maul trug er Grubers Karotten-Plastiksack. Aber es waren keine Karotten drin, sondern ein Notizbuch und eine Schachtel Pralinen.

Hat es geklappt? Wenn Donnerpfeil nicht gerade sein Geschäft erledigen musste, sollten Sie jetzt meine persönlichen Aufzeichnungen und eine Pralinen-Box mit Spezialabfüllung in den Händen halten. Beides ist für Sie. Lesen Sie das Notizbuch Wort für Wort durch, Sie werden das Dorf von einer völlig neuen Seite kennenlernen. Und bitte essen Sie die Box leer bis auf den Grund. Ich werde es für mich behalten. Haha.

Es war mir eine Ehre, Ihnen gedient zu haben.

Herzlichst, Ihr Dorfpolizist
Gaius Gruber

Die Gemeindepräsidentin machte es sich auf dem Ledersessel bequem. Sie streifte die Schuhe ab und zog die Beine an. „Viva, Gruber!“ prostete sie ihm zu. Sie pflückte eine Praline aus der Box, und begann zu lesen.

Kapitel 1

Kapitel 1: 

„Ruhig, Donnerpfeil, schhhh, schhhhhhh, gopfertelli!“ Die Gemeindepräsidentin streckte dem alten Gaul auf der flachen Hand ihr Znüni-Gipfeli hin, „friss erst mal, du Lumpensack.“ Sie tätschelte ihm mit der anderen Hand den Hals. „So ist’s gut, braaav, alles gut, alles guuut.“ Natürlich wusste sie, dass das nicht stimmte. Nichts war gut. Donnerpfeil zitterte. Und wieherte komisch. Und vor allem, sass Gruber nicht auf seinem Rücken. Das war in den letzten zehn Jahren noch nie vorgekommen. Der Dorfpolizist kam immer pünktlich zum Dienst angeritten. Meistens mit einer Thermoskanne Kaffee für sie (Selbstgebraut!) und einer Plastiktüte voller Karotten für sich und sein Pferd. Alles andere gehe doch direkt in die Fettschürze, sagte er jeweils, und trommelte sich auf den Bauch. Und dann öffnete er immer mal wieder sein Bürofenster und warf Donnerpfeil, der friedlich unter dem Fahrradständer auf einer Picknickdecke lag, welche zu. „Das ist mein Dienstfahrzeug“, rief er aus dem Fenster, wenn die Schulkinder stehen blieben und Donnerpfeil zwischen den Nüstern streichelten. Und „Tubel-Aff!“, wenn einer auf der Dorfhauptstrasse zu schnell um die Ecke bog.

Die Gemeindepräsidentin zückte ihr Handy und wählte Grubers Nummer. Nehmen sie ab, Gaius, los, nehmen sie ab. Aus Donnerpfeils Satteltasche ertönte Musik. „Sexbomb“, von Tom Jones. Sie musste lachen.
SIE müssten zur Polizei“, hatte Gruber einmal an einem Weihnachtsessen der Gemeindekanzlei zu ihr gesagt, da rauchten sie beide noch, schloteten und schlotterten draussen vor der Beiz, „mit ihrem Lachen entwaffnen sie jeden.“ Der Spruch war unprofessionell. Und ziemlich platt. Aber sie hatte schon zu viel Weisswein intus, um angemessen darauf zu reagieren. Sie küsste ihn. Auf die Nase. Weil sie vor dem Weisswein auch schon zwei Apérol Spritz hatte. Und einen Hugo. Und Streit mit ihrem Freund. Nun, das sei eine seiner erogensten Zonen, versuchte der Dorfpolizist die Zielschwäche der Gemeindepräsidentin zu überspielen und setzte seinerseits zu einem Kuss an. Nur trat in diesem Moment der Gemeindeschreiber Stv. aus der Beiz. Und zog schon die Brauen hoch. Da konnte die Gemeindepräsidentin gar nicht anders. Jetzt musste sie angemessen reagieren. Sie pfefferte dem Dorfpolizisten eine. Leider wieder an die Nase. „Gut“, sagte Gruber, und schniefte das Blut hoch. Das sei schon mal sehr gut. Aber im Ernstfall müsse sie noch mehr von unten nach oben schlagen, und vor allem, mit der Faust. Er spukte in den Gully und nahm einen Zug von seiner Zigarette. Wirklich, das habe schon mal gut gerummst. Respekt. Sie solle auf jeden Fall dranbleiben. Weitertrainieren. Damit war die Sache gegessen.

Die Gemeindepräsidentin griff in die Satteltasche und holte Grubers Handy hervor. Auf dem Display klebte ein Post-it. „Ich melde mich ab“, stand darauf, und dann ganz klein, dem Rand entlang, fast nicht zu entziffern, „kommen Sie bitte alleine.“

Donnerpfeil hatte noch ein paar Krümel ums Maul. „Ach, du armer Tropf“, sagte die Gemeindepräsidentin und wischte ihn mit ihrem Stofftaschentuch sauber. Die Sonne glänzte auf seinem rostroten Rücken. In den Kastanienbäumen vor dem Gemeindehaus pieksten sich die Vögel an den grünen Stachelschalen. Und pfiffen. Eigentlich ein schöner Sommertag. Ein Montagmorgen im friedlichsten Dorf der Schweiz, Ende August. Aber die Gemeindepräsidentin fröstelte es. „Komm, wir gehen nachschauen, was mit ihm los ist“, sagte sie zu Donnerpfeil, und das Pferd trottete mit gesenktem Kopf neben ihr her.
Gruber hatte Donnerpfeil damals von der Altersweide weg rekrutiert. Das sei ein alter Ackergaul, der kriege nur noch sein Gnadenbrot, der lebe nicht mehr lange, hatte der Besitzer gesagt. Aber Gruber griff durch. „Diesem Pferd ist einfach nur sterbenslangweilig. Ich beschlagnahme es, und berufe es offiziell in den Polizeidienst.“

Gruber baute sich dann neben der Altersweide eine Hütte. Ganz recht. Mit seinen eigenen Händen. Ausserhalb der Bauzone. Diese Hütte war seine Bedinung, sonst hätte er den Posten nicht angetreten. Und niemand sonst wollte in diesem Dorf Polizist sein. Weil nie irgendetwas passierte.

Die Gemeindepräsidentin hob schnell ihr Handy ans Ohr, und tat so, als kriege sie einen Anruf, wenn ihr jemand entgegen kam. Genauer tat sie so, als wäre Dorfpolizist Gruber am anderen Ende. Sie schaffte es sogar, zu lachen, als habe er einen seiner vielen Witze gemacht. Natürlich warfen ihr alle fragende Blicke zu. Oder deuteten auf den leeren Sattel. Donnerpfeil ohne Gruber, das gab es einfach nicht. Das machte jeden stutzig. „Ist etwas passiert?“, rief die alte Frau Schaufelberger vom Balkon ihrer Villa. „Nein, nein“, rief die Gemeindepräsidentin erschrocken zurück, „Er ist erkältet. Und sehr heiser. Er vermutet eine Sommergrippe. Ich vermute eine Männergrippe.“ Die Gemeindepräsidentin wollte schnell weiterziehen, aber Frau Schaufelberger bat sie, zu warten. Nach ein paar Minuten seilte sie eine Flasche Whisky vom Balkon ab. Ihr lieber Martin habe darauf geschworen. Einfach heisses Wasser. Whisky. Zitronenscheibe. Und Nelken. Das helfe bestimmt.

Bis die Gemeindepräsidentin und Donnerpfeil Grubers Hütte oben am Waldrand erreichten, kamen noch ein Vanille Gugelhupf, selbstgemachte Quitten-Konfitüre, ein Bananenbrot, Schokolade, und ganz viele Genesungswünsche hinzu. Der Gemeindegärtner, der gerade vom Friedhof her kam, bot sogar an, nach Feierabend nach dem Dorfpolizisten zu sehen. „Sehr lieb, aber nicht nötig“, antwortete die Gemeindepräsidentin, „ich kümmere mich um Kommissar Triefnase.“

 

Grubers Hütte war windschief. Er war kein Handwerker. Anstelle einer Wasserwage benutzte er seine Augen. Kniff sie hinter der Lesebrille zu dünnen Schlitzen zusammen. Und er arbeitete grundsätzlich ohne Plan oder Skizze. Er habe eine Vision. Sagte er. Das genüge. Und so schlecht ist es dann auch gar nicht herausgekommen, fand die Gemeindepräsidentin. Wie eine Pfahlbauer-Version der Villa Kunterbunt. Mit Einflüssen von Gaudi, dem Brockenhaus und Ikea. Skurril. Aber gemütlich.

Die Gemeindepräsidentin gab Donnerpfeil einen Klapps. „Los, auf die Weide mit dir, aber im Galopp, du Köbi. Los“. Aber Donnerpfeil blieb einfach stehen und schaute ihr nach, wie sie zur Tür ging. Es war ein alter Bauernschrank. Die Gemeindepräsidentin klopfte. „Gruber? GRUUUBER? Alles ok bei ihnen?“ Eine Klingel gab es nicht. „Gruber? Sie sind besser nicht nackt. Ich komme jetzt rein.“ Als die Gemeindepräsidentin durch den Schrank in die Hütte trat, stockte sie kurz. Dann riss sie das Stofftaschentuch, das voller Pferdesabber war, aus ihrer Hosentasche, und presste es sich vor Nase und Mund. Aus Grubers Hütte kroch ihr ein süsslicher Duft entgegen.