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«Hans hat Pech»

Hans hat Pech

Ein weihnachtliches Gaunermärchen von Simon Libsig mit einer süssen Note von Fabian Rimann Chocolatier

Ein Adventskalender der ganz besonderen Art. Geniessen Sie einen Ohrenschmaus zusammen mit einem köstlichen Praliné. Vom 1. bis 24. Dezember erscheinen hier jeden Tag kurze Geschichten aus der Feder des Wortfechters, Story-Ingenieurs und Poet Simon Libsig. Zu jeder Geschichte passt ein Pralinés von Chocolatier Fabian Rimann. Zum Schluss ergibt sich aus allen Teilgeschichten ein spannendes, weihnachtliches Gaunermärchen. Lassen Sie sich in der hektischen Adventszeit in die Welt der Geschichten und des Genusses entführen…

Kapitel 25 - «Knüppeldick»
Hören Sie sich hier die gesamte Geschichte an einem Stück an

Das Kapitel 25 und die Auflösung zur Geschichte ist ohne Pralinés und ein «Zückerchen» für sich.

Hören Sie sich hier die Geschichten der vergangenen Tage an
Kapitel 24
Kapitel 23
Kapitel 22
Kapitel 21
Kapitel 20
Kapitel 19
Kapitel 18
Kapitel 17
Kapitel 16
Kapitel 15
Kapitel 14
Kapitel 13
Kapitel 12
Kapitel 11
Kapitel 10
Kapitel 9
Kapitel 8
Kapitel 7
Kapitel 6
Kapitel 5
Kapitel 4
Kapitel 3
Kapitel 2
Kapitel 1

Kapitel 25: Knüppeldick

Olivia Blitz war schon fast durch. Die Schaufenster waren gemacht, die Vitrinen, der Boden, zweimal nass, jetzt nur noch die Verkaufstheke und dann würde sie wie jeden Monat ein paar Batzen vom Juwelier kriegen und denselben Spruch hören wie jedes Mal: „So, alles BLITZ-BLANK?“

Sie tunkte den Lappen ins Seifenwasser und drehte ihn in ihren Schraubstock-Händen. Ein wenig spürte sie noch die vergangenen Festtage. Was war das wieder ein Hallihallo Hallotria gewesen. Aber gut.

Sie wischte mit dem Lappen über die Ladentischplatte. Dann der Kante entlang. Dann drunter, unter dem Vorsprung. Und dort, entdeckte sie es.

Sie zeigte es zuerst Johann. Und der schickte sie sogleich, die Polizei zu holen.

 

„Aha“, sagte Stadtpolizist Knüppel und löste den Pechklumpen fluchend unter der Verkaufstheke ab. In der Mitte des Schuhmacherpechs war ein Eindruck, der mit den Umrissen des verschwundenen Diamanten übereinstimmte. Blank, der unterdessen auch hinzugekommen war, pochten die Schläfen. „Was hat das zu bedeuten? Und was ist mit ihrem Kopf passiert?“

Der Kopfverband tue nichts zur Sache, sagte Knüppel, ein Bierkrug, aber Dr. Schlächter habe das Ohr retten können, einigermassen. Nein, was hier interessiere sei nur diese eine Frage, und dazu richtete sich der Stadtpolizist in seiner ganzen Grösse auf: „War dieser verkleidete Hampelmann, dieser näselnde Kleider-Dieb nach seiner Freilassung nochmals bei ihnen im Laden?“

„Mit seiner ganzen Familie“, bestätigte Johann, „sie haben die Ohrringe zurückgebracht.“

Dann sei der Fall klar, sagte Knüppel und schlug mit der Faust den Pechklumpen platt. „Der Lump hat bei seinem ersten Besuch das Pechstück unter der Ladentheke befestigt und unbemerkt den Diamanten hineingedrückt. So konnte er sich auch meiner gründlichen Leibesvisitation unterwerfen.“ Knüppel fluchte erneut. „Die Diebesbeute brachte das Schlitzohr dann erst beim zweiten Besuch in Sicherheit.“ Blank schaute entsetzt. Auf dem Gesicht seines Sohnes spiegelte sich Bewunderung. „Und jetzt sind sie über alle Berge, nach Rom.“ Sofort kassierte er von seinem Vater einen Klapps am Hinterkopf.

 

Er solle doch bitteschön nicht so naiv sein, sagte Blank zu seinem Sohn, als Stadtpolizist Knüppel wieder weg war. Er solle doch mal nachdenken. Ernsthaft. Ein solches Ganovenstück habe sich dieses kleine Würstchen garantiert nicht selber ausgedacht. Zudem könne er die grüne Lady nicht einfach so zu Geld machen, da brauche es Kontakte, da brauche es Komplizen, da braucht es den grossen Mann im Hintergrund. Und wer bitteschön war der Einzige, der noch von der grünen Lady gewusst hatte? Eben! Blank klopfte Johann auf die Schulter. „Du steigst heute Nacht bei Stutz in die Kanzlei ein, stellst sein Büro auf den Kopf, du liest jede einzelne Notiz, schaust in jeder Schublade, und wenn du nur den geringsten Hinweis darauf findest, dass er da mit drinhängt, dann kümmere ich mich persönlich um ihn und dann, das garantiere ich, dann hat Stutz dann wirklich Pech gehabt.“

Lesen Sie hier die Geschichten der vergangenen Tage nach
Kapitel 24

Kapitel 24: Das Weihnachtsgeschenk

Es war am Weihnachtsabend. In Paris. Hans Hungerbühler war mittlerweile so vollgegessen, dass man ihn nur noch mit einem Schiff hätte verfrachten können. Das einzige, das an ihm noch dünn war, waren sein gestutzter Schnurrbart und seine Haut. Er brauchte seine Mutter nur anzusehen, gerade jetzt, wie sie Emma im einen Arm wiegte und Päuli mit dem anderen an sich drückte, und schon stiegen ihm wieder Tränen in die Augen. Er konnte nicht anders. „So, aufhören jetzt“, sagte Lilly und boxte Hans auf den Oberarm, „nicht so sentimental.“ Sie schenkte sich nach und schnupfte eine Prise Schnupftabak. „Ich dachte, wir beherbergen hier einen Meisterganoven mit seinen Komplizen, und nicht Familie „Ich-heul-gleich-los.“ Gloria, die am Klavier sass, musste lachen. Sie hörte auf, Weihnachtslieder zu spielen, und begann zu improvisieren. „Die hat Pfupf“, sagte Lilly und forderte Hans zum Tanz auf. Um den Baum herum. Der war geschmückt mit Kerzen, und all den Zeichnungen, die Päuli auf der Reise für seine Grossmutter gemacht hat, und an einem Ast baumelte noch Grossvaters Hut. Es roch nach Sauerbraten und durchs Fenster sah man den Eifelturm glitzern, als wäre er aus purem Gold.

„Mein Weihnachtsgeschenk habe ich schon gekriegt“, sagte Gloria, als sie zur Bescherung übergingen, „wir sind alle zusammen und gesund.“

„Und beschwipst“, sagte Lilly, „und bald auch reich.“ Sofort bedachte Emma sie mit einem tadelnden Blick. „Darum geht es hier nicht, ging es nie, sondern…“

„Dass wir wie Pech und Schwefel zusammenhalten“ beendete Päuli den Satz und zupfte den Hut vom Baum. „Nichts soll uns mehr trennen. Das hat sich Grossvater für uns gewünscht.“

„Und das wünsche ich uns auch“, sagte Hans und stand auf. „Fürs erste heisst das, dass wir hier bleiben. In Paris. Wir suchen uns eine Wohnung hier in der Nähe und fangen neu an.“ Er machte einen Schritt auf Päuli zu, fuchtelte theatralisch vor dessen Gesicht herum, murmelte ein paar unverständliche Sprüche und zauberte mit einem lauten „Tadaaa!“ den grünen Diamanten hinter dessen Ohr hervor. „Dieses Juwel stammt aus einem fernen Alpenland, mein König.“ Hans streckte die grüne Lady zwischen Daumen und Zeigefinger zum Kerzenlicht des Weihnachtsbaums und kniff die Augen zusammen. „Makellos und rein. Wie ihr grosses Herz.“

Kapitel 23

Kapitel 23: Der Baum

Emma Hungerbühler rupfte die Lametta vom Baum. Jetzt vergesse sie dann gleich ihre guten Manieren. Das sieht doch nicht aus! Seit dem Morgen war sie schon dran. Erst nannte sie den Baum den Schönsten in ganz Paris, unterdessen war sie bei „Besen“ und „Stachelschwein.“ Was sie auch ausprobierte, Holztierchen, Kugeln, Kerzen, Engel, Süssigkeiten, ja sogar Glasfigürchen und Scherenschnitte, nichts hielt ihrem Urteil stand. Mal geriet der Baum zu üppig, dann wieder zu kahl, zu wenig festlich. Sie schimpfte ihre Dekorationen langweilig und uninspiriert, eine Zumutung für die Augen, eine Beleidigung, für jeden Menschen mit Geschmack. Es war ein Gemetzel.

„So nervös habe ich dich noch nie erlebt“, sagte Lilly, ihre langjährige Freundin und Mitbewohnerin, „komm, gib mir deine Hand.“ Sie half der über Siebzigjährigen vom Holzschemel herunter, „du brichst dir ja noch was.“ Lilly war ein paar Jahre jünger, aber in vielem die Ältere. „Hast du das Datum und die Uhrzeit nochmals kontrolliert, kommen sie wirklich heute?“ Emma schob ihre Brille Richtung Nasenspitz und zitterte den Brief hervor. Er war schon ganz abgegriffen. Sie hatte ihn schon tausendmal gelesen. Und sie tat es noch einmal. Wieder kullerten ihr Tränen über die Wangen. Mit dem Zeigefinger fuhr sie jedem Wort nach. „Da“, sagte sie, „da steht es doch. Oder? Steht doch da?“ Lilly beugte sich vor, dann schaute sie zur Wanduhr. „Oha“, sagte sie, „wir müssen los.“

 

Kapitel 22

Kapitel 22: Mit bestem Dank zurück

 Bei Juwelier Blank ging das Glöcklein über der Tür und Familie Hungerbühler trat ein.  Hans trug den Hut seines Vaters und dessen Schuhe, Gloria trug Emma, und Päuli trug es mit Fassung, dass er nicht mit seinen Kollegen zum grossen Weiher am Wald mitdurfte. Sofort steuerte der Junge auf die Vitrinen zu, in denen glitzernde Ringe und Ohrringe, Colliers und Broschen auf Samtkissen lagen. So viel Schmuck hatte er noch nie gesehen. „Äh, zurück, zurück!“, sagte Blank und zog Päuli von den Vitrinen weg, „du machst mir überall Abdrücke mit deinen Patschhänden.“ Er schubste Päuli zu seinen Eltern und pfurrte Johann an, er solle sich gefälligst nützlich machen und die Vitrinen wieder polieren, mit einem Lappen, dalli! Dann machte er einen Schritt auf Hans zu. „Und sie! Sie haben hier lebenslanges Hausverbot, sie Lügner und Betrüger, raus!“ Blank wollte schon fast handgreiflich werden, da schritt Gloria ein. „Mein Mann hat sie getäuscht und er schämt sich dafür. Sehr sogar. Schauen sie uns an. Wir sind nicht ihre reguläre Kundschaft, sie hätten doch einen Habenichts wie Hans nie und nimmer bedient, deshalb die ganze Maskerade.“

„Ich wollte meiner Frau mit den Ohrringen eine Freude machen, zur Geburt und zu Weihnachten“, sagte Hans ohne zu näseln, und nahm seinen Hut ab, „ aber ich habe einen grossen Fehler gemacht.“

„Einen ist gut“, erwiderte Gloria, „mehrere!“ Sie stupste ihren Mann an. „Jetzt gib sie endlich zurück.“ Hans schritt mit gesenktem Haupt zur Verkaufstheke, griff in seine Hosentasche und legte die beiden Ohrringe neben die Kasse. „Was soll das?“ fragte Juwelier Blank, „was tun sie da?“

„Unser mühsam Erspartes hat er gemopst“, sagte Gloria, „völlig verrückt geworden! Und nicht nur das“, jetzt machte sie einen Schritt auf Blank zu, „schauen sie mich an, fällt ihnen etwas auf? Schauen sie genau.“ Gloria drehte ihren Kopf nach links, dann nach rechts, „sehen Sie? Keine Löcher! Und wissen sie warum? Weil ich allergisch bin. ALLERGISCH. Ja. Da schauen sie, was? Habe ich auch gedacht. So gut kennt mich mein Mann also. Nach all den Jahren. Ganz furchtbar. Aber gut, hilft ja nichts. Wir müssen die Ohrringe, die übrigens sehr schön sind, zurückgeben.“ Blank blieb der Mund offen. Hans entschuldigte sich viele Male, es sei ihm nirgends recht. Und Johann lachte in sich hinein, als er die Kasse öffnete und das Geld für die Ohrringe herauszählte, dieses Mal in Noten. Es war kein Riesenbetrag. Es ging hier um das günstigste Paar Ohrringe im Sortiment. Aber sein Vater machte trotzdem ein Gesicht, als feuere sein Magengeschwür. „Gekauft ist gekauft“, sagte der und wollte Einhalt gebieten, aber da hatte Gloria die Noten bereits ins Umhängetuch zu Emma gesteckt. „Wissen sie“, sagte Gloria, „wir ziehen weg.“ Unbemerkt kniff sie Emma in den Po, sofort begann das Kindlein zu schreien. „Nach Rom“, sagte Gloria, laut, um Emma zu übertönen, „wir haben dort Verwandte.“ Dann hob sie entschuldigend die Schultern, das Kindlein habe Hunger, sie müsse wohl, das pressiere jetzt. Arrivederci. „Ja, Rom“, wiederholte Päuli laut und folgte seiner Mutter nach draussen, und auch Hans zog sich langsam aus dem Juweliergeschäft zurück, die ganze Sache tue ihm leid, aber seine Familie, der Herr Blank wisse ja, wie das sei, und ja, Rom, Rom, ganz wunderbare Stadt, ein Erlebnis, ausser die Luft – und schon war er draussen. Juwelier Blank wusste nicht, wie ihm geschehen war. Er gab Johann einen Klapps gegen den Hinterkopf und schimpfte ihn einen Trottel, das Geld einfach rauszugeben. Da streckte Hans nochmal den Kopf zur Tür herein. Er habe ganz vergessen nach der grünen Lady zu fragen, ob der Diamant denn unterdessen wieder aufgetaucht sei? Nach dem Gesichtsausdruck des werten Herrn Blank zu urteilen, sei dies offenbar nicht der Fall, nun, ein Pech aber auch. Trotzdem frohe Festtage. Und weg war er.

 

Kapitel 21

Kapitel 21: Es wird sich alles richten

 „Was erlauben sie sich, Hungerbühler!?“ Anwalt Stutz japste entrüstet, als Hans kurz nach neun Uhr in den Pausenraum trat. „Verlassen sie unverzüglich diese Kanzlei.“ Er schaute sich nach dem Besen um. „Ich fege sie auch gerne nochmals vor die Tür. Dreck wie sie gehört auf die Strasse.“ Stutz lachte. Aber keiner der Angestellten lachte mit. Fräulein Gwunder hob sogar die Kaffeekanne in Richtung Hans. „Ohne Zucker, oder?“ Jetzt musste Hans lachten. Vom Kaffee lasse er die Finger, sagte er, da habe er sich zu sehr verbrannt, aber seine Frau habe die Flecken glücklicherweise wieder rausgekriegt, sie sei eine wahre Magierin. Hans holte den Anzug hervor, schön zusammengefaltet, mit einer Geschenkschleife drum herum. „Fröhliche Weihnachten, Herr Stutz“, sagte er, „Es war nie meine Absicht, den zu behalten.“ Stutz wusste, dass er überreagiert hatte. Aber er wäre nicht Chef der grössten Anwaltskanzlei der Stadt, würde er Fehler eingestehen. „Ihre Stelle kriegen sie trotzdem nicht zurück, Hungerbühler“, sagte er und bedeutete Hans, er solle den Anzug beim Rausgehen in seinem Büro deponieren. Adieu. „Es war mein Fehler“, sagte Hans, „bitte entschuldigen sie.“ Er werde mit seiner Familie wegziehen und sein Glück anderswo versuchen, er habe nur seinen Fehler wiedergutmachen wollen. Hans nickte Fräulein Gwunder freundlich zu, dann verliess er den Raum. Den Anzug legte er Anwalt Stutz auf den Schreibtisch. Und im Schreibtisch, in der unteren rechten Schublade, ganz hinten, versteckte er sein letztes Quäntchen Pech. Das, was vom Klumpen noch übrig geblieben war.

Kapitel 20

Kapitel 20: Die Sonne wärmte ihn

 Der ganze Friedhof war zugeschneit. Die Grabsteine und Kreuze schauten nur mehr mit der Spitze heraus. Hans sackte immer wieder ein. Wo lag er denn bloss? Welche Reihe war es nochmal? Hier in der Habenichts-Ecke gab es so viele davon. Und seit seinem letzten Besuch mussten schon wieder duzende hinzugekommen sein. Es starb sich leicht in diesen Tagen.

„Ich bin hier, um mich zu verabschieden“, sagte Hans, als er das Grab seines Vaters endlich gefunden hatte. Er kniete sich nieder und nahm den Hut ab. Die Sonne wärmte ihn. „Im Herzen nehmen wir dich mit. Du wirst immer bei uns sein.“ Dann bedankte er sich für das Pech, das er geerbt hatte und versprach, den letzten Willen des Vaters zu erfüllen. Wenn auch auf etwas unkonventionelle Art und Weise. „Wir sind wohl alle keine Engel“, sagte Hans und schaute sich um. „Aber ich liebe dich trotzdem für immer, Papa.“ Dann legte sich Hans auf das Grab seines Vaters, schloss die Augen wegen der Sonnenstrahlen, und machte einen Schnee-Engel.

Kapitel 19

Kapitel 19: Der Schneemann

 „Auf, auf, ihr Gauner und Galgenvögel“, sagte Gefängniswärter Zulauf und öffnete die beiden obersten Zellen im Turm. Hans und Luigi traten überrascht hinaus. „So kurz vor Weihnachten werden gewisse Menschen halt doch irgendwie weich. Sogar Richter.“ Zulauf schmunzelte. „Schaut nicht so. Ihr seid frei, ihr Holzköpfe.“ Er gab Frida einen Klaps und stapfte ihr nach, die Treppe hinunter. „Kommt, los.“

Am Ausgang hielt Zulauf die beiden nochmals zurück. „Schade. Meine Frau kocht immer wunderbar am Weihnachtsabend. Sauerbraten. Mit Butternudeln. Und Erbsen. Da hättet ihr nicht widerstehen können.“ Er drückte beiden eine kleine Kartonschachtel in die Hand. „Als kleines Abschiedsgeschenk.“ Auf der Schachtel stand gross und in geschwungenen goldenen Lettern „Knusper“.

 

Hans und Luigi überquerten gemeinsam die Strasse und blieben beim Schneemann vor dem Rathauskeller stehen. Hans stellte den Besen zurück und reichte Luigi die Hand. „Danke Luigi, dich vergesse ich nie.“ Stadtpolizist Knüppel, der die Szene vom Metzger her beobachtete, blies in seine Trillerpfeife. „Glaub ja nicht, dass du jetzt frei bist, Hungerbühler, ich sehe dich. Mich wirst du nicht los. Ich weiss, du hast den Stein.“

„Wovon spricht der?“, fragte Luigi.

„Von der Zukunft meiner Familie“, antwortete Hans und winkte dem Polizisten freundlich zu, „du bist immer bei uns willkommen, Luigi.“

„In einem anderen Leben sehen wir uns vielleicht wieder, mein Freund“, sagte dieser und drückte Hans seine Knusper-Box in die Hand. „Nimm die auch noch, für deine Familie, und für dich, du Klappergestell, iss endlich mal was, du fällst ja noch vom Fleisch.“ Luigi befreite die beiden Bierhumpen aus dem Kopf des Schneemanns und zwinkerte Hans zu. „Mal schauen, ob ich das noch kann.“ Er holte aus. „Geh du jetzt zu deiner Familie. Ich gehe zurück zu meiner.“ Dann schleuderte Luigi den ersten Humpen in Richtung Knüppel. Er verfehlte den Stadtpolizisten nur um Haaresbreite, traf jedoch das Schaufenster des Metzgers. Es zersplitterte in tausend Scherben. Der zweite Humpen war ein Volltreffer.

Kapitel 18

Kapitel 18: So schallt es zurück

 „Wer macht denn so etwas?“ Hans trat zu den beiden Angestellten vom Knusper, die an der Gourmet-Kutsche zerrten und schoben und versuchten, sie vom Turmeingang wegzubewegen. „Kann ich helfen?“ Die beiden hatten die Räder freigeschaufelt und eine Gasse in den Schnee geschlagen, sie schwitzten und fluchten auf die Jugend von heute. „Rotzbande! Wenn wir die erwischen.“ Hans packte mit an. Wie er die Kutsche wenige Stunden zuvor alleine hatte ziehen können, mit verletzter Hand und verletztem Knöchel, durch den Schnee, war ihm ein Rätsel.

 

Hans polterte gegen die Tür. Wieder und wieder. Bald würden hier die ersten Passanten durchkommen, auf dem Weg zur Arbeit. Das konnte doch nicht sein. Er hörte Frida nervös hin und her tippeln, aber wo blieb Zulauf? Hans versuchte es weiter. Klopfte mit dem Besen. Da. Endlich. Die Tür bewegte sich. Und es öffnete ein völlig verkaterter Gefängniswärter.

 

Luigi ging es nicht viel besser. Aber doch so gut, dass er die freudige Nachricht von der Geburt von Emma aufnehmen, und Hans gratulieren konnte. Unter vielen Tränen. Weil er sich so für Hans freute. Und weil er gleichzeitig traurig war, dass es für ihn selber da draussen niemanden gab. Dann schliefen sie beide erschöpft ein.

 

Luigi erwachte als erster. Er hörte ein Lied. Sein Lied. Das Lied, das er jeden Abend zum Turm hinaus sang. Die Sonne schien durch die Schiessscharte und das Leben draussen schien in vollem Gange. Es musste kurz vor Mittag sein. Luigi rappelte sich hoch und spähte zur Strasse hinunter. Dort stand eine Frau mit einem Jungen. Und sie hatte ein Kindlein umgebunden. Jetzt winkten sie, als Luigi den Kopf durch die Schiessscharte streckte und sie sangen noch lauter. Unterdessen war auch Hans wach geworden und als er seine Familie unten stehen sah, verstand er. Sie bedankten sich bei Luigi. Der Nachtigall. Und nicht nur sie. Plötzlich blieben auch andere stehen und stimmten mit ein. Leute traten aus der Metzgerei und aus dem Knusper auf die Strasse hinaus, sie kamen aus dem Rathauskeller und sogar aus dem Amtsgebäude, Fenster wurden geöffnet und Radfahrer stiegen vom Sattel und der Gesang schwoll an, und bald war das ganze Städtchen erfüllt, von einem Chor aus hunderten Stimmen.

Kapitel 17

Kapitel 17: Es schlägt

 „Werden sie mir jetzt nicht ohnmächtig“, sagte die Hebamme zu Hans, als die nächste Wehe anrollte. Die beiden hatten Gloria untergehakt, sie wand sich zwischen ihnen, presste und fluchte. Päuli schaute ängstlich von seinem Bett her zu. „In dieser Position klappt es vielleicht.“ Hans kam es vor, als dauere es bereits Stunden. Seinen Knöchel merkte er gar nicht mehr, obwohl er ihn voll belastete. Seine Frau in solchen Schmerzen zu sehen brach ihm das Herz. „Haben sie nichts zur Beruhigung?“ fragte Hans die Hebamme. „Das hilft ihr jetzt nichts mehr“, antwortete sie. Hans streckte die Hand aus. „Mir aber schon.“

 

Als das Kindlein da war machte es keinen Mucks. Die Augen quollen hervor und die Lippen waren nahe am Dunkelblau. Sofort blies ihm die Hebamme Luft in die Nase. Sie tastete den Puls, aber das kleine Herz schlug viel zu langsam. Dann hörte es ganz auf. Für einen kurzen Moment war das Unglück greifbar. „Weitermachen“, flehte Hans, „nicht aufhören“, und im Wechsel mit der beatmenden Hebamme drückte er dem Kindlein aufs Herz, „nicht aufgeben.“ Er hatte seine Mutter im Ohr, wie sie ihm von seiner eigenen Geburt erzählte, er sei ein Engel, sagte sie immer wieder, er sei schon im Himmel gewesen und dann wieder zurückgekehrt, sie könne ihr Glück kaum fassen. Deshalb hatte sie ihm auch diesen geschnitzten Engel geschenkt.
Die Hebamme drehte das Kindlein um, hielt es an den Füssen hoch. Da schrie es endlich.

 

„Wie heisst die Kleine denn?“, fragte die Hebamme, als sie Gloria das Mädchen auf die Brust legte. Hans schlug den Namen seiner Mutter vor. „Emma.“ Gloria und Päuli schauten Hans überrascht an, aber sie waren beide einverstanden.

 

„Vielen Dank“, sagte Hans zu Päuli als das Kindlein zu saugen begann, „für die heilende Lektüre. Ich bin Briefaufschlitzer, aber die wirklich wichtigen Briefe, konnte ich erst dank dir öffnen.“

Dann erzählte Hans von Luigi und wie der ihm zur Flucht verholfen hat. Die einsame Nachtigall, die in den dunklen Nachthimmel hinaus singt und deren einzige Freunde zum Tod verurteilte Ratten sind.

Hans schrieb ein paar Zeilen an seine Mutter und bat Päuli, den Brief später zur Post zu bringen. Es war unterdessen sechs Uhr morgens. Hans umarmte und küsste seine Liebsten, dann stützte er sich auf den Besen und humpelte zurück zum Gefängnis.

Kapitel 16

Kapitel 16: Ich nehme auch gerne einen Schluck

Zulauf gab auf. Niemand würde ihn hören. Nicht solange dieses Schlitzohr von einem Sängerknaben die Stadt beschallte. „Komm, Frida“, sagte er und machte sich erneut an den Aufstieg. „Jetzt zerrupfen wir diese Nachtigall.“ Es war nach Mitternacht. Wegen der Turmglocke gab es im Städtchen immer mal wieder Lärmklagen. Aber noch nie hat sich jemand über Luigis Gesang beschwert. Es gab sogar solche, die ihr Fenster öffneten, wenn er sang. Unabhängig von der Tageszeit.

Mit jeder Stufe, die Zulauf erklomm, wurde er sanfter. Er konnte sich nicht wehren, dieser Gesang machte etwas mit ihm. Natürlich spürte er auch den Wein. Und es half auch nicht, dass er sich beim Abendessen mit seiner Frau gezankt hatte. Aber war er schon dermassen verweichlicht? War das das Alter? Bei Stufe 147 sang er bereits mit, und als er oben ankam, liefen ihm die Tränen nur so runter. „Du armer Tropf“, sagte Luigi, als Zulauf die Zellentür öffnete, „du bist ja ganz aufgelöst.“ Er deutete auf seine Pritsche. „Setz dich doch, ruh dich erst mal aus.“ Zulauf kam der Einladung nach und hiess Frida, sich vor die Tür zu legen. Luigi blieb bei der Schiessscharte stehen. „Keine Angst, ich will hier nicht raus. Das weisst du doch.“ Das Wasser auf dem Zellenboden war noch nicht vollständig versickert und der Schlauch hing quer durch den Raum, von der Essensluke bis zum Loch in der Wand. „Was soll das? Gräbst du neuerdings Löcher?“ fragte der Gefängniswärter, „machst du jetzt einen auf Graf von Monte Christo?“ Luigi lachte. „So kann ich mich besser mit meinen wechselnden Nachbarn unterhalten. Und mit irgendjemandem muss ich mich ja unterhalten. Meine Rattenfreunde scheinst du ja nicht zu akzeptieren.“ Frida drehte den Kopf und schmatzte. „Verdi liess sich sogar streicheln.“ Zulauf verzog das Gesicht. „Du gibst den Viechern Namen?“

„Jeder verdient einen Namen“, sagte Luigi, „damit man sich an ihn erinnern kann.“

Luigi kam näher und klopfte dem Gefängniswärter freundschaftlich auf die Schulter. „Komm, gönn dem Hans diese Freinacht. Morgen ist er wieder da und sitzt seine Strafe ab. Und falls nicht, übernehme ich die volle Verantwortung und ihr könnt mich an seiner Stelle für den Ausbruch bestrafen. Abgemacht? Zulauf? Mach, wie es dir dein Name vorgibt. Stimm ZU und LAUF den Wein holen. Oder Schnaps. Ich nehme auch gerne einen Schluck.“

ulauf vom Turm herab „was machst du auch für Dummheiten? Du bringst mich noch ins Grab!“ Hans stöhnte und versuchte sich aufzurappeln. „Liegenbleiben, ich komme!“ Zulauf musste sich konzentrieren, nicht zu stürzen. Keine der 352 Treppenstufen war gleich wie die andere, aber alle waren sie von der Feuchtigkeit rutschig, und Zulauf hatte sich nach Luigis Affentheater mit Rotwein beruhigen müssen. Nur langsam. Nur langsam. Er würde nicht riskieren, sich auch noch den Haxen zu brechen. Und er hatte ja Frida. Er brauchte unten nur die Tür zu öffnen und der Hund würde den Hungerbühler zurückbringen, notfalls in Einzelteilen.
Hans stopfte sich Schnee in die Socke, um den Knöchel zu kühlen, aber darauf abstehen ging fast nicht. Es wurde ihm richtig schlecht vor Schmerz und er war der Ohnmacht nahe. „Los!“ rief Luigi von oben herab. „Denk an deine Frau, die muss noch schlimmere Schmerzen aushalten als das.“ Hans schaute sich um. Vor dem Rathauskeller stand ein stattlicher Schneemann. Mit drei Schaals und zwei Hüten. Vermutlich Liegengebliebenes von Gästen. Zwei Bierhumpen waren die Augen und eine Weinflasche die Nase. Dort, wo der Mund sein sollte, steckte eine abgerauchte Zigarre, und neben dem Schneemann ein Besen. Hans holte ihn sich. Als Krückstock. Damit humpelte er so schnell er konnte zur Confiserie Knusper.

„Frida“ rief Zulauf und klimperte mit dem Schlüsselbund, „kommt Mädchen, du darfst auf die Jagd.“ Der riesige Schäferhund drehte nur ein Ohr, blieb aber liegen. „Frida“, versuchte es Zulauf nochmals und erhob die Stimme, „Fleisch.“ Sofort stand Frida bei Fuss. „Braves Mädchen.“ Zulauf drehte den Schlüssel um und drückte gegen die Tür. Aber sie bewegte sich kaum. Zulauf stutzte. Jetzt drückte er mit der Schulter. Gab sein ganzes Gewicht hinein. Mehr als einen kleinen Spalt breit, kriegte er die Tür nicht auf. Sie war verbarrikadiert. Knuspers Gourmetkutsche stand davor. „Dieser miese, kleine…“ entfuhr es Zulauf, aber da meldete sich auch schon Hans auf der anderen Seite. „Bitte, Herr Zulauf, nicht böse sein. Ich werde heute zum zweiten Mal Vater, da will ich dabei sein. Und nicht im Kerker, für etwas, das ich gar nicht getan habe.“ Zulauf warf sich gegen die Tür. Polterte. Zeterte. Nichts half. „Sobald das Kindlein da ist“, sagte Hans, komme ich zurück, das verspreche ich ihnen.“ Dann machte er sich auf den Weg nach Hause. Und Luigi sang aus voller Kehle, um die Hilferufe des Gefängniswärters zu übertönen.

Kapitel 15

Kapitel 15: Die Gourmet Kutsche 

Hans schlug auf. Mit dem linken Bein zuerst. Der Schnee hat Schlimmeres verhindert, aber der Knöchel war ziemlich sicher gebrochen. „Selber Schuld, du Hornochse“, zeterte Gefängniswerter Zulauf vom Turm herab „was machst du auch für Dummheiten? Du bringst mich noch ins Grab!“ Hans stöhnte und versuchte sich aufzurappeln. „Liegenbleiben, ich komme!“ Zulauf musste sich konzentrieren, nicht zu stürzen. Keine der 352 Treppenstufen war gleich wie die andere, aber alle waren sie von der Feuchtigkeit rutschig, und Zulauf hatte sich nach Luigis Affentheater mit Rotwein beruhigen müssen. Nur langsam. Nur langsam. Er würde nicht riskieren, sich auch noch den Haxen zu brechen. Und er hatte ja Frida. Er brauchte unten nur die Tür zu öffnen und der Hund würde den Hungerbühler zurückbringen, notfalls in Einzelteilen.
Hans stopfte sich Schnee in die Socke, um den Knöchel zu kühlen, aber darauf abstehen ging fast nicht. Es wurde ihm richtig schlecht vor Schmerz und er war der Ohnmacht nahe. „Los!“ rief Luigi von oben herab. „Denk an deine Frau, die muss noch schlimmere Schmerzen aushalten als das.“ Hans schaute sich um. Vor dem Rathauskeller stand ein stattlicher Schneemann. Mit drei Schaals und zwei Hüten. Vermutlich Liegengebliebenes von Gästen. Zwei Bierhumpen waren die Augen und eine Weinflasche die Nase. Dort, wo der Mund sein sollte, steckte eine abgerauchte Zigarre, und neben dem Schneemann ein Besen. Hans holte ihn sich. Als Krückstock. Damit humpelte er so schnell er konnte zur Confiserie Knusper.

„Frida“ rief Zulauf und klimperte mit dem Schlüsselbund, „kommt Mädchen, du darfst auf die Jagd.“ Der riesige Schäferhund drehte nur ein Ohr, blieb aber liegen. „Frida“, versuchte es Zulauf nochmals und erhob die Stimme, „Fleisch.“ Sofort stand Frida bei Fuss. „Braves Mädchen.“ Zulauf drehte den Schlüssel um und drückte gegen die Tür. Aber sie bewegte sich kaum. Zulauf stutzte. Jetzt drückte er mit der Schulter. Gab sein ganzes Gewicht hinein. Mehr als einen kleinen Spalt breit, kriegte er die Tür nicht auf. Sie war verbarrikadiert. Knuspers Gourmetkutsche stand davor. „Dieser miese, kleine…“ entfuhr es Zulauf, aber da meldete sich auch schon Hans auf der anderen Seite. „Bitte, Herr Zulauf, nicht böse sein. Ich werde heute zum zweiten Mal Vater, da will ich dabei sein. Und nicht im Kerker, für etwas, das ich gar nicht getan habe.“ Zulauf warf sich gegen die Tür. Polterte. Zeterte. Nichts half. „Sobald das Kindlein da ist“, sagte Hans, komme ich zurück, das verspreche ich ihnen.“ Dann machte er sich auf den Weg nach Hause. Und Luigi sang aus voller Kehle, um die Hilferufe des Gefängniswärters zu übertönen.

Kapitel 14

Kapitel 14: Geschlaucht 

„Da bin ich ja mal gespannt“, sagte Luigi, „wie ist denn dein Plan? Hier ist nämlich noch nie jemand ausgebüxt.“ Hans beugte sich über den Eimer, um sich zu übergeben. Es ging ihm gar nicht gut. „Ganz einfach“, sagte er, als der Bauchkrampf vorüber war, „bald wird es mir noch schlechter gehen, du wirst sehen, ich werde mich vor Krämpfen schütteln und dann ohnmächtig zusammenbrechen.“ Er zwinkerte Luigi zu. „Du schlägst dann Alarm. Und sobald Zulauf neben mir steht, überwältige ich ihn, nehme ihm den Schlüssel ab, schliesse ihn ein, und weg bin ich.“

Es dauerte eine ganze Weile, ehe Luigi es schaffte, nicht mehr zu lachen. Man merke, dass er ein Amateur sei, aber das spreche imGrunde für ihn. „Angenommen“, sagte Luigi, Hans schaffe es tatsächlich den Zulauf, den er schon ganze Ochsen von Männern habe zerrupfen sehen, zu überwältigen, und aus der Zelle zu gelangen, dann würde er spätestens auf der obersten Treppenstufe auf Frida treffen, und dieser Hund, wie soll man das sagen, der möge Fleisch wirklich sehr.

Hans schluckte. Er wollte nicht wie Verdi enden. Aber er musste einen Weg rausfinden. Er musste zu seiner Familie. Er musste bei der Geburt dabei sein. Sonst wäre das der Anfang vom Ende. Er würde sie langsam aber sicher verlieren. Das spürte er.

„Hast du eine bessere Idee?“ fragte er Luigi.

Luigi schaute ihn eine Weile an. „Du bist spindeldürr. Das ist gut. Aber was ist mit deiner eingebundenen Hand? Kannst du die benutzen?“ Hans nickte. Die Hand machte ihm kaum mehr Probleme. Vielleicht war Dr. Schlächter doch nicht der Quacksalber, für den er ihn gehalten hatte. „Also gut“, sagte Luigi, „dann bete jetzt, dass sie den Schnee noch nicht weggeräumt haben.“

 

Gefängniswerter Zulauf schnitt gerade ein Stück Wurst ab, als es mit dem Theater losging. Es war 23:20 Uhr. Luigi, zuoberst rechts, brüllte aus Leibeskräften und drosch mit seinem Eimer gegen die Zellentür. „Ist es wieder soweit?“, fragte Zulauf seine Frida und warf dem Hund das Wursträdchen zu, „also, komm.“

Zulauf kannte Luigis Launen. Er mochte den Alten wirklich. Aber ab und zu, wenn ihn die Einsamkeit überkam und er den Weltschmerz spürte, dann führte er sich unmöglich auf, dann half jeweils nur noch eine kalte Dusche.

„Luigi“, rief Zulauf, als er die Treppenstufen hochkletterte, „du kannst jetzt noch damit aufhören, noch habe ich den Schlauch nicht in der Hand.“ Der Turm hatte acht Stockwerke, auf dem vierten war der Schlauch. Ein Ungetüm. Viel zu lang. Viel zu schwer. Und Zulauf litt normalerweise noch zwei Tage später, wenn er ihn bis nach oben ziehen musste. „Luigi, letzte Chance!“

Luigi hatte sich vorsorglich nackt ausgezogen. Er fluchte auf die Politik und die Hochfinanz, er fluchte auf die Kirche und das Automobil, das bald alles verpesten werde und er streckte Zulauf den Hintern entgegen, als dieser den Schlauch durch die Essensluke zwängte. Der Strahl war beachtlich und zeigte seine Wirkung. Luigi kauerte schon sehr bald schlotternd in der Ecke und schwor, es sei jetzt gut. Aber Zulauf wusste, dass es das nicht war. „Ich lasse den Schlauch stecken. Ein Mucks, Luigi, und dann drehe ich ihn nochmals auf und dieses Mal bis zum Anschlag und dann ziele ich noch etwas genauer.“ Er trat gegen die Tür, um seine Drohung zu unterstreichen, und machte sich mit Frida wieder auf den Weg nach unten.

 

Luigi zog den Schlauch in seine Zelle, nahm den Stein aus der Wand, und reichte Hans den Schlauch durch die Öffnung. „Los, weiter zur Schiessscharte raus“, sagte er, „wir ziehen zusammen. Bereit? Hauruck, Hauruck…“

Als kein Schlauch mehr nachkam, machte Luigi den Daumen nach oben: „Ich hoffe, du bist schwindelfrei.

Hans zwängte sich rückwärts zur Schiessscharte hinaus, die Augen behielt er zu. Er klammerte sich an den Schlauch und liess sich so vorsichtig wie er konnte daran hinunter. Es war eine bitterkalte Nacht. Es hatte aufgehört zu schneien.

Zulauf sass unterdessen wieder vor seinem Glas Wein und der Wurst. Da kam ihm ein Gedanke. Es war kurz vor Weihnachten. Und Luigi hatte irgendwie vehementer geklagt als sonst. Vor Weihnachten wurden die Menschen komisch. Vielleicht war es keine gute Idee gewesen, den Schlauch dort zu lassen. „Komm“, sagte er zu Frida, „schnell.“

 

Hans war am Ende angekommen. Er baumelte etwa vier Meter über dem Boden, weiter reichte der Schlauch nicht hinunter. Der Schnee würde ihn sicher abfedern. Aber wie sehr? Er hatte nicht viel Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Als Zulauf oben den Kopf zur Schiessscharte rausstreckte und lospolterte, liess Hans sich fallen.

Kapitel 13

Kapitel 13: Zelle und Zellteilung

„Die Frau?“, fragte Luigi und blickte Hans durch die Öffnung in der Wand an. Hans hatte keine Sekunde geschlafen. Um ihn herum lagen dutzende Briefe verstreut. „Die Mutter“, antwortete Hans. Luigi stöhnte auf. Ob er darüber reden wolle? Er selber habe seine Mutter leider vor langer Zeit verloren. Und mit ihr das Gefühl, dass jemand da sei, der auf ihn aufpasse. „Zum Glück habe ich noch Zulauf“, sagte er und lachte, „sonst wäre ich verloren.“ Hans wusste nicht, wie lange Luigi schon im Turm hockte, es müssen Jahre sein, denn er konnte sich an keinen Abend erinnern, an dem er nicht den Gesang der Nachtigall gehört hätte. „Ich habe meine Mutter auch vor langer Zeit verloren“, sagte Hans und faltete die Briefe sorgfältig zusammen. „Aber es kommt mir vor, als finde ich sie gerade wieder.“ Luigi legte einen Finger an seine Lippen. Sie hörten Zulauf husten und sich die Treppe hochkämpfen. Schnell setzte Luigi den Stein zurück in die Wand. Gerade noch rechtzeitig. Bei Hans flog die Zellentür auf. „Pisspott leeren und Katzenwäsche!“

 

Einmal pro Tag durften die Gefangenen nacheinander die Zellen verlassen, um den Eimer auszuschütten. Dazu kriegte jeder einen Becher voll Wasser. Man musste dann selber entscheiden, ob man damit den erbärmlich stinkenden Kessel ausspülen oder sich selber notdürftig waschen wollte. Hans trank den Becher in einem Zug leer. „Auch eine Variante“, sagte Zulauf und schüttelte den Kopf. „Das ist nicht Flusswasser. Das ist Wasser vom grossen Weiher am Wald. Vom letzten Frühling. Und du weisst ja, dieser Weiher ist ein Jungbrunnen. Wer zu viel davon trinkt, wird bestimmt nicht alt.“ Zulauf deutete auf den Eimer von Hans. „Bald wirst du dir wünschen, du hättest zwei davon.“

 

„Papa“, rief Päuli wenig später von unten aus dem Schneegestöber, „Papa.“ Hans krümmte sich auf der Pritsche. Er schaffte es nur mit Mühe bis zur Schiessscharte. „Ich musste die Hebamme holen“, rief Päuli, „sie sagt, heute Nacht, spätestens morgen Früh kommt das Kind.“ Hans vergass den Schmerz. Gloria wollte ihn nicht verlassen, sie bereitete die Geburt vor. „Ich werde euch nicht allein lassen“, rief Hans, „ich werde bei euch sein, das verspreche ich.“ Als Päuli weg war, meldete sich Luigi. „Meinst du, dass du in Gedanken bei ihnen sein wirst? Oder darfst du heute etwa raus?“

„Nein“, antwortete Hans, „Ich muss ausbrechen.“

Kapitel 12

Kapitel 12: Post aus der Vergangenheit

 „Haferschleim und Tee“, brüllte Zulauf durch die Essensluke und nahm noch einen Zug von seiner Zigarette. Hans rieb sich die Augen. Es war vier Uhr morgens. Der Lärm der Turmglocke hallte noch nach. „Hoch mit dir, Iss. Ich verspreche dir, niemand lehnt ungeschoren das Frühstück meiner Frau ab.“ Der Gefängniswärter reichte das Tablett durch. „War das gerade eine Ratte? Ich dachte, der Hund habe alle erwischt. Elende Drecksviecher.“ Er pfiff mit zwei Fingern. „Frida! Friiida! Komm Mädchen, Fleisch!“

Frida war ein Schäferhund. So gross wie ein Wolf. Die Ratte hatte keine Chance. Hans stand auf der Pritsche und schaute weg. Das Gefiepe allein war schon schlimm genug. Und dann noch das Schnappen und Kauen und Knacken. Hans war froh, als die Zellentür zuging und er wieder alleine war. Er wollte sich gerade auf den Eimer setzen, da rieselten Steinchen von der Wand. Und ein grosser löste sich. Und weg war er. „Guten Morgen, mein Freund“, sagte sein Zellennachbar und zwängte seine Hand durch die Öffnung, „ich heisse Luigi. Hast du meine Ratte gesehen?“ Hans sagte nichts. „Ich wollte schon gestern Nacht hallo sagen, aber da hast du schon geschlafen, sahst richtig unglücklich aus, so zusammengerollt. Vielleicht ist Verdi ja zu dir rübergehuscht, um dich zu trösten und ich hab’s nicht gemerkt?“ Hans ergriff Luigis Hand, die mit Altersflecken übersäht war, und drückte sie. „Sehr erfreut, ich bin Hans.“ Wie er denn diesen Stein aus der Wand habe lösen können, fragte er sofort, um von Verdis Verbleib abzulenken. Luigi zeigte einen verbogenen Nagel durch die Öffnung. Er war an einem Faden befestigt. Hans erkannte ihn sofort wieder. „Aha“, sagte er, „hat der Apfel geschmeckt?“ So kamen sie ins Gespräch. Während draussen der Schneefall wieder heftiger wurde.

 

„Papa“, rief Päuli zum Turm hoch, da hatte es erst gerade Mittag geschlagen, „Papa!“ Die Mutter suche verzweifelt das Ersparte und es sehe so aus, als ob sie packe. Hans erschrak. Wollte sie ihn verlassen? Wie damals seine Mutter? Schnell schrieb er ein paar Zeilen an Gloria und liess das Brieflein an Luigis Haken hinunter. „Vorsichtig“, hatte Luigi gesagt, „es ist das Wichtigste, das ich habe.“

Päuli hängte im Gegenzug ein Bündel Briefe für seinen Vater an den Haken. Sie waren allesamt ungeöffnet. Päuli hatte jeden davon aus dem Müll gerettet und wieder glattgestrichen. Er formte seine Hände zu einem Trichter und rief hinauf: „Jetzt hast du endlich Zeit, sie zu lesen.“

Kapitel 11

Kapitel 11: Der Stadtturm

 „Nur weiter, nur weiter“, sagte Gefängniswärter Zulauf und zwickte Hans mit einem Rohrstock von hinten in die Wade. Die steile Treppe schien direkt in den Himmel zu führen. Es roch nach nassem Stein. Hans zitterte vor Kälte. „Keine Angst. Bald schwitzt du. Es sind noch fünf Stockwerke. Los. Hopp.“ Noch ein Zwick.

Der Stadtturm war über fünfzig Meter hoch. Hans kriegte die oberste Zelle links. Mit einer Pritsche und einem Eimer. „Beste Aussicht, luftiges Zimmer“, sagte Zulauf und streckte Hans Papier, einen Griffel und eine Bibel hin. „Unter dir sitzen Brandstifter, Entführer und Mörder.“ Er blickte Hans direkt in die Augen. „Aber dein Zellennachbar ist der Schlimmste von allen.“ Der Gefängniswärter lachte. „Wenn du nicht aufpasst, quatscht er dir die Birne weg.“ Hans atmete aus. Die Wände waren voller Kritzeleien, durch die offene Schiessscharte drang vereinzelt Gegröle vom Rathauskeller herauf. Die Biertränke gegenüber des Turms würde bald rappelvoll sein mit Feierabendtrinkern. „Hören sie, mein Sohn wird bald unten am Turm stehen und auf mich warten. Er denkt, ich sei bei der Arbeit, er holt mich jeden Abend ab. Würden sie mich ein paar Minuten zu ihm lassen, damit ich ihm alles erklären kann? Es ist wichtig. Meine Frau ist hochschwanger, ich will nicht, dass sie sich unnötig Sorgen macht. Ich brauche nur zwei Minuten, sie können gerne dabei sein und mich dann gleich wieder hier rauf bringen, was meinen Sie?“ Der Gefängniswärter zwirbelte seinen Schnauz. „Donnerwetter“, sagte er, „und ich dachte, dein Zellennachbar habe Sprechdurchfall.“ Er deutete auf die Schiesssharte. „Da kannst du deinen Kopf rausstrecken und runterbrüllen.“ Dann kramte er eine selbstgedrehte Zigarette aus seinem Tabakbeutel hervor und klemmte sie Hans hinters Ohr. „ Stopf dir damit die Lauscher zu. Sonst platzt dir der Schädel beim Glockenschlag.“ Zulauf trat aus der Zelle und verriegelte die Tür. Dann schaute er nochmals durch die Essensluke hinein. „Übrigens. Dein Zellennachbar kennt das Prozedere schon zur Genüge. Wenn hier einer Stunk macht, dann wickle ich den Feuerwehrschlauch ab und dann heisst’s Wassermarsch. Und in diesem Loch trocknet man nicht so schnell. Da friert dir vorher der Seckel ab. Wünsche angenehmen Aufenthalt.“

Päuli tat erst so, als würde er seinen Vater nicht hören, als der aus dem Gefängnisturm nach ihm rief. Er überlegte sich gar, wegzulaufen. Was machte der dort oben? Das war das Loch. Nur Verbrecher kamen ins Loch. „Es ist alles ein Missverständnis“, rief er immer wieder, „ich bin unschuldig.“ Und der halbe Rathauskeller lachte und prostete seinem Vater zu. „Päuli“, flehte er, „Päuli, sag Mama, dass sie sich keine Sorgen zu machen braucht, an Weihnachten sind wir wieder alle beisammen.“ Päuli blickte zu seinem Vater hoch und winkte. Dann spurtete er los.

Hans sah seinem Sohn hinterher. Traurig stimmte er das Lied an. Und sein Zellennachbar, die Nachtigall, stimmte mit ein.

Kapitel 10

Kapitel 10: Die grüne Lady

In der Schatulle lag ein grüner Diamant. Er hatte die Form eines Herzes. „Die grüne Lady“, sagte Blank. „Es heisst, sie versprüht Liebe, wo sie hinkommt.“ Den eleganten Herrn schien sie bereits in ihren Bann zu ziehen. Ob er sich die grüne Lady genauer ansehen dürfe? fragte er. Seine Stimme zitterte. Das Nasale war verschwunden. „Bitte“, sagte Blank und stiess Johann mit dem Ellenbogen an. „Reich dem edlen Herrn die Juwelierlupe, wenn du so gut sein möchtest.“ Johann schaute seinen Vater fragend an. „Herrgott, muss man denn alles selber machen!“ Blank zog eine Schublade hinter der Verkaufstheke auf und murmelte etwas über Familie und das Unglück seiner späten Jahre.

„Aha“, sagte der elegante Herr und rollte den Diamanten zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. Sein linkes Auge hatte er zugekniffen. „Ich sehe, ich sehe. Interessant.“ Er hob und senkte die Lupe. Schaute mit dem anderen Auge hindurch. „Ja, ja. Ja, ja.“ Dann legte er den Diamanten zurück in die Schatulle. Es gäbe keinen Zweifel. Diese grüne Lady sei geradezu perfekt. Makellos. Und für ihn deshalb über alle Massen, wie solle er sagen, langweilig. Ja. Sie mag vielleicht Liebe versprühen, aber er empfinde nichts. Er bleibe bei den Ohrringen. Danke. Blank schnappte nach Luft. Und sein Sohn biss sich auf die Zunge, um nicht laut loszulachen.

Der elegante Herr bezahlte die Ohrringe mit einem Berg aus Münzen. Er zählte sie Stück für Stück auf die Verkaufstheke und als er endlich fertig war, setzte er gemächlich seinen Hut auf, tippte zum Abschied an die Krempe und wandte sich zum gehen. Blank hatte jeglichen Anstand verloren. Er schaute kaum auf, brummelte etwas Unverständliches und schloss enttäuscht die Schatulle mit dem Diamanten. Doch Moment! Er riss den Deckel nochmals auf. Und erschrak. Das konnte nicht sein. Die grüne Lady war weg. In heller Aufregung suchte er zwischen den ausgelegten Ohrringen, suchte die Verkaufstheke ab, öffnete nochmals die Schatulle und auch die Schublade, in die er die Juwelierlupe zurück  versorgt hatte, aber der kostbare Edelstein blieb verschwunden. Nun halfen auch Johann und der elegante Herr mit. Dieser rutschte sogar auf den Knien auf dem Boden herum und schaute in jeder Ritze. Nichts.

„Holen sie bitte einen Polizeibeamten hinzu“, sagte der elegante Herr, als sich der Diamant trotz aller aufgewendeter Mühe nicht finden wollte. „Ich bestehe auf einer genauen Leibesvisitation. Ich möchte nicht, dass der Verdacht an mir haftet, ich hätte die grüne Lady vielleicht eingesteckt.“ Blank fand das eine gute Idee. Er nahm seinen Sohn zur Seite und flüsterte ihm ins Ohr: „Und nach dem Polizeirevier gehst du noch zum Stutz, der soll herkommen.“

 

Stadtpolizist Knüppel schubste den eleganten Herrn ins Kämmerlein hinter der Verkaufstheke. „Dann wollen wir mal“, sagte er, „mir machen sie nichts vor.“ Er erkenne einen Schwindler drei Kilometer gegen den Wind, hatte er kurz nach dem Eintreten gesagt, und das sei ganz sicher einer. „Riechen“, erwiderte der elegante Herr, es heisse drei Kilometer gegen den Wind riechen, und er verbitte sich einen solchen Ton. Aber das hätte er sich besser verkniffen.

 

„Vielen Dank“, sagte der elegante Herr, als Blank ihm den Hut reichte. „Ich werde vor meiner Abreise nochmals vorbeikommen, um zu erfahren, ob der Diamant wieder gefunden wurde.“ Polizist Knüppel würdigte er keines Blickes. „Ich bin froh, dass sie sich vergewissern konnten, dass die grüne Lady nicht bei mir ist.“ Er setzte den Hut auf und wollte gerade gehen, als Anwalt Stutz eintrat. „Hungerbühler?“ entfuhr es ihm, „was tun sie denn hier?“ Er schaute seinen entlassenen Briefaufschlitzer entgeistert an. „Ist das mein Anzug?“ Polizist Knüppel grinste. „Also doch ein Dieb. Das war so klar wie Klosterbrühe.“ Hans schüttelte nur den Kopf. Den Anzug habe Stutz weggeworfen, er habe ihn nur ausgeliehen. Er könne alles erklären.“ Aber der Anwalt, der immer noch einen Groll gegen Hans hegte, bestand darauf. „Den Anzug hat er mir gestohlen.“ Und Hans, der Pechvogel, wurde abgeführt.

Kapitel 9

Kapitel 9: Die schönsten Ohrringe im Sortiment

Bei Juwelier Blank ging das Glöcklein über der Tür und ein eleganter Herr mit Hut trat ein. In überaus höflicher und gewählter Form bat er darum, die schönsten Ohrringe im Sortiment zu sehen, er suche ein Weihnachtsgeschenk für seine Frau. Seine Stimme klang nasal. Vermutlich dem garstigen Wetter der letzten Tage geschuldet. Dachte Blank. „Selbstverständlich, der Herr. Darf Johann ihnen dazu einen Tee oder Kaffee servieren?“ Blank trat seinem Sohn, der wie immer verträumt neben ihm hinter der Verkaufstheke stand, auf den Fuss. „Los“, zischte er und trat nach. Das sei nicht nötig, sagte der Herr. Er käme geradewegs aus Bohners Kaffeehaus, dort habe man ihm im Übrigen auch dieses Juweliergeschäft empfohlen, er sei auf der Durchreise, sei nur gerade ein paar Tage in der Stadt und wolle seiner Frau etwas ausserordentlich Schönes mitbringen, wie es, den Empfehlungen nach, eben nur hier zu finden sei. Blank machte eine Verbeugung und zwang auch seinen Sohn dazu. Dann legte er dem Herrn bereitwillig eine Auswahl der schönsten Ohrringe vor. Dieser schaute sich jedes Paar eingehend an. In vornehmster Haltung und mit einem aristokratischen Auftreten, das Blank nervös machte. Sein schusseliger Sohn hatte es noch jedes Mal geschafft, die besten Kunden zu vergraulen. Ob etwas dabei sei, das seinen Geschmack treffe? fragte Blank vorsichtig. Der elegante Herr entschied sich schliesslich für das günstigste Paar. Johann konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Der Preis und der Wert würden nicht immer korrelieren, meinte der Herr. Geld spiele bei ihm grundsätzlich keine Rolle, er suche stets nach dem Speziellen, dem Einzigartigen und das entscheide sich nach dem Gefühl und nicht nach dem Geldbeutel. Dann trat er etwas näher an Blank heran und senkte seine Stimme. Ob der werte Juwelier noch etwas anderes Spezielles, Einzigartiges in seinem Sortiment habe, ein Schmuckstück etwa, das einer üppigen, über die Massen pompösen Lady, die seine Frau durchaus sei, gefallen könnte? Blank verstand sofort. Offenbar hatte Anwalt Stutz ganze Arbeit geleistet und schon kurz nach dem Brief einen geeigneten Abnehmer gefunden. Der Juwelier nickte dem eleganten Herrn kumpelhaft zu und hiess seinen Sohn, die Ladentür zu schliessen. Dann verschwand er im Kämmerlein hinter der Verkaufstheke. Von dort hörte man ihn. Er war mehrere Minuten zugange, ehe er mit einer Schatulle zurückkam. „Sie haben Glück“, sagte der Juwelier. „Dasdürfte einer wahren Lady gefallen.“

Kapitel 8

Kapitel 8: Eine gute Falle

„Gar nicht mal so schlecht“, sagte Gloria und zupfte am Jacket herum. „Bei dir sieht der Anzug auf jeden Fall besser aus als bei Stutz. Bei dir spannt der Stoff überhaupt nicht.“ Und als Hans dann noch den Hut seines Vaters aufsetzte und dessen schönstes Paar Schuhe anzog, da musste sogar Päuli zugeben, dass sein Vater eine gute Falle machte. „Jetzt siehst du aus wie einer vom Protzenberg. Holt dich jetzt etwa auch eine Kutsche ab?“ Hans verneigte sich, zückte eine imaginäre Taschenuhr aus seinem Wams und näselte einen geschwurbelten Abschiedsgruss. Es tue ihm leid, in seiner neuen Position dürfe er nicht zu spät kommen, man möge ihm den Zwicker und die weissen Handschuhe reichen. Gloria lachte und es tat richtig gut. In letzter Zeit hatte sich bei Hans eine für ihn untypische Ernsthaftigkeit eingeschlichen. Sie liebte ihren Mann. Und sie war stolz auf ihn. „Zu was hat dich Stutz eigentlich genau befördert?“ Hans winkte ab. Wenn er sich jetzt beeile, reiche es noch für einen Abstecher in Bohners Kaffeehaus, die Gazette durchblättern. Und schon war er aus der Tür.

Draussen stapfte Hans um das Haus herum und blieb auf der Höhe des Fensters stehen. Irgendwo hier musste das Pech gelandet sein. Er buddelte im Schnee wie ein Hund. Es musste schnell gehen. Würden Gloria oder Päuli ihn so sehen, er wüsste nicht, wie er sein Verhalten erklären könnte. Seine Fähigkeit, aus dem Stehgreif Notlügen zu erfinden, war in den letzten Stunden arg strapaziert worden. Er war kein geübter Schwindler. Sein Talent lag eher im Schauspiel. Ein Sonnenstrahl zeigte Hans schliesslich die richtige Stelle an. Das Wetter wurde freundlicher. Hans nahm das Pech und machte sich auf den Weg. Er pfiff eine italienische Arie.

Kapitel 7

Kapitel 7: Der Engel

„Früher wärst du dafür vermutlich als Hexe verbrannt worden“, sagte Hans und reichte seiner Frau beschwingt den Schnaps. Sie gab einen Schuss in das Gebräu, rieb noch etwas Handseife hinzu und rührte dann. „Das Rezept habe ich von deiner Mutter“, sagte sie, „fehlt nur noch eine Prise Glück“. Hans schob den Stuhl zurück und stand vom Tisch auf. „Musst du sie immer erwähnen? Jetzt war’s doch grad so entspannt.“ Er verzog sich ins Schlafzimmer. „Ist Grossmama eine Hexe?“ fragte Päuli, der sich neben dem Ofen aufwärmte.“ Gloria lachte. „Eine liebe Hexe“, sagte sie extra laut, dass Hans es hören konnte. „Eher eine Zauberin.“ Gloria breitete den Anzug auf dem Tisch aus und betupfte die Kaffeeflecken mit dem Zaubermittel. „Sie fehlt mir.“

Hans hatte nur nach einem Grund gesucht, sich ins Schlafzimmer verziehen zu können. Er gab der Tür einen Schubs, sodass Gloria ihn nicht mehr sehen konnte. „Ich höre dich“, rief er so, als nerve er sich noch, und begann zu suchen. Irgendwo in diesem Raum musste Gloria das Ersparte versteckt haben, die eiserne Reserve für wahre Notsituationen. Hans faltete Sockenknäuel auseinander, tastete die Matratze ab und nahm das „Ross“, das Päuli als Dreijähriger gezeichnet hatte aus dem Bilderrahmen. Nichts. „Weisst du noch die Ohrringe, die deine Mutter immer trug?“ Gloria konnte es offenbar nicht lassen. „Richtig edel sah sie damit aus. Sie liebte diese Ohrringe. Das einzige Paar, das sie besass. Und dann musste sie es hergeben, als alles den Bach runter ging.“ Hans hörte nur mit halbem Ohr zu. Er blätterte durch jedes Buch, das sie im Regal stehen hatten, untersuchte die Holzbalken, ob sie irgendwo eine genügend grosse Ritze aufwiesen, er suchte die Kommode nach einem Geheimfach ab. Nichts. „Als sie diese Ohrringe verkaufen musste, hat deine Mutter mir mal gesagt, da wusste sie, jetzt kommt’s nicht gut.“ Hans rückte leise den Schrank von der Wand weg, er schaute in der Blumenvase, unter dem Bett, unter dem Teppich und er stocherte sogar in der grossen Kerze herum, die sie nie anzündeten, vielleicht hatte seine Frau das Geld ja im Wachs eingeschmolzen? Nichts. Hans fluchte. „Fluch nicht so“, hörte er Gloria aus der Küche, „sie ist deine Mutter, sie liebt dich, irgendwann musst du ihr doch einmal verzeihen, du bist selber ja auch kein Engel.“ Hans stutzte. Der Engel. Natürlich.

Seine Mutter hatte ihn nach Hans’ Geburt von einem befreundeten Schreiner machen lassen. Es war das Einzige, das Hans von seiner Mutter besass. Seit ihrer Abreise hatte er ihn nie mehr hervorgeholt. Der Engel war absolut tabu. Und das wusste Gloria nur allzu gut. Und auch, dass die Flügel hohl waren.

 

„Ja, die Ohrringe“, sagte Hans und kam zurück in die Küche, „ich erinnere mich.“ Er strich Gloria eine Strähne hinters Ohr. „Wünschst du dir auch solche Ohrringe? Vielleicht zu Weihnachten?“ Er schaute sie verschmitzt an. Gloria lachte auf. „Dazu fehlt noch etwas anderes, nicht nur das Geld.“ Dann packte sie ihn beim Kinn und küsste ihn. Päuli machte Würggeräusche vom Ofen her. „Das Einzige, was ich mir zu Weihnachten wünsche“, sagte Gloria dann, „ist dass die ganze Familie gesund und glücklich beisammen ist.“ Hans beugte sich nochmal vor, er wollte einen zweiten Kuss. Dabei musste er Acht geben, dass die Münzen in seiner Hosentasche nicht klimperten.

Kapitel 6

Kapitel 6 – «Selbst gebrannt»

„Das würde mich auch interessieren“, sagte Gloria und fixierte Hans mit ihren grossen dunklen Augen. „Ist etwas bei der Arbeit vorgefallen, Liebster?“ Sie strich Hans über den Nacken. „Stutz lässt dich doch nie so früh aus dem Stollen. Schon gar nicht vor Weihnachten. Im Gegenteil.“ Hans wurde noch bleicher. „Und wem gehören diese Kleider?“ fragte Päuli, „hast du einen neuen Anzug?“ Ihm werde speiübel, sagte Hans und kämpfte sich auf, vermutlich Schlächters Medizin, er müsse sich entschuldigen.

Die Toilette der Hungerbühlers war ein Erker über dem Fluss. Ein stinkendes Loch. Aber Hans zog in diesem Moment gerne die Tür hinter sich zu. Seine Notlüge verschaffte ihm Zeit zum Nachdenken. Und wo er schon mal hier war, sei’s drum. Er öffnete seine Hose und liess sie zusammen mit der Unterhose bis zu den Knöcheln gleiten. Da fiel der Brief raus. An den hatte er gar nicht mehr gedacht. Hans hob den Brief auf und setzte sich. Es gab wohl keinen besseren Ort, um vertrauliche Post zu lesen. Aha. Der Brief war von Juwelier Blank. Ebenfalls stadtbekannt. Und berüchtigt. Offiziell weiss natürlich niemand etwas, aber hinter vorgehaltener Hand erzählt man sich in der Stadt, dass der Blank nicht nur legale Geschäfte macht. Seine Edelsteine seien rein. Aber seine Weste nicht. Anwalt Stutz hat ihn schon mehrmals vertreten. Also. „Rausgeboxt aus kniffligen Situationen“, wie Fräulein Gwunder es nannte, als sie auch einmal keine Mittagspause machte, weil sie zu sehr in den Seilen hing. Sie war für einmal nicht perfekt zurecht gemacht, und roch nach Selbstgebranntem. „Gut abkassiert“, habe der Stutz dafür. Jedenfalls trage seine Frau regelmässig neue Ohrringe oder mal eine Halskette oder einen Ring. Jawohl. Sie sehe das ja. Dann wankte Fräulein Gwunder zum Tisch vom Chef und kippte das Foto, das dort eingerahmt stand, vornüber. Hans schlitzte einfach weiter Brief um Brief auf. Er gab nichts auf solche Geschichten. Anwalt Stutz oder Juwelier Blank waren ihm stets egal gewesen. Bis zu diesem Moment. Als er den Brief las.

Juwelier Blank schrieb von einer üppigen, einer über die Massen Pompösen Lady, die er zu Besuch habe und die er in seinem bescheidenen Heim gar nicht beherbergen dürfe, das verbiete die Etikette. „Lieber Freund“, schrieb Blank an Stutz, „können Sie mir helfen, dieses Schmuckstück von einer Dame mit einem geeigneten Liebhaber zusammenzuführen, der weiss, was sie wert ist, und der das auch für sie bieten kann?“

Hans las die Worte wieder und wieder und in seinem Kopf gedieh allmählich ein Plan. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, sein Pech doch noch zu wenden. Er wischte sich mit dem Brief ab und liess ihn im Fluss verschwinden.

Als Hans vom Klo kam, wirkte er erleichtert und fröhlich. In der ganzen Hektik habe er eine Sache ganz vergessen. Er habe nicht Pech auf der ganzen Linie. Eine gute Nachricht gebe es durchaus. Hans umarmte seine Frau und seinen Sohn. „Stutz hat mich befördert.“ Jawohl. Der Anwalt habe ihm sogar seinen Lieblings-Anzug geschenkt, man müsse ihn nur reinigen. Gloria zog die Augenbrauen hoch und schaute ihren Mann von der Seite an. „Glaub mir, Schatz“, sagte Hans und streichelte über ihren Bauch, „wir können uns auf ein üppiges Weihnachtsfest freuen. Die Zukunft ist gesichert.“

Kapitel 5

Kapitel 5 – «Bittere Pille und gesalzene Rechnung»

„Lauf zu Doktor Schlächter“, sagte Hans zu seinem Sohn und legte ihm die eingebundene Hand auf die Schulter. „Nimm die Abkürzung über den grossen Weiher.“ Gloria glitt vor Schmerz immer wieder in eine kurze Ohnmacht. Sich hinlegen wollte sie nicht. Sie sei nicht bettlägerig, sie kriege ein Kind. Notfalls im Stehen. Er solle bitte Platz machen. Dann quälte sie sich noch eine Runde um den Tisch. Und bevor ihr die Beine wegsackten, setzte sie sich hin. Jetzt lag sie vornüber zwischen zwei Schälchen Gemüsebrühe und einem Stück Brot. Die Suppe dampfte noch. „Heisses Wasser“, entfuhr es Hans, „heisses Wasser und Tücher.“ Er schritt zum Rückfenster und liess den Eimer zum Fluss hinunter. Als er ihn einholte und zurück ins Kämmerlein hievte, schwappte der Eimer mehrmals über. Päulis Bett und der grösste Teil des Teppichs wurden nass. Hans fluchte. Und noch mehr, als ihm klar wurde, dass es bereits ein nächstes Problem gab. Hungerbühlers besassen nur einen Kochtopf. Der stand auf dem Herd, mit einem Rest Suppe drin, seinem Anteil. Hans war schon ganz klapprig vor Hunger. Aber er kippte die Suppe aus dem Fenster und goss das Flusswasser in den Topf. Dann stellte er ihn zurück auf den Herd, öffnete die Feuerluke und warf ein paar Scheite nach. In diesem Moment wachte Gloria auf, und Hans vergass, die Luke zu schliessen. Er strich seiner Frau eine klebrige Strähne aus der Stirn und versuchte sich selber zu beruhigen. Es komme alles gut, sie solle nur richtig atmen, er bereite alles vor, der Doktor sei unterwegs. Hans atmete übertrieben ein und aus und ging in ein Hecheln über, als er sich das Messer griff. „Keine Angst“, sagte er, „das haben wir schon einmal geschafft.“ Er schnitt das Bettlaken ein und zerriss es in fünf gleiche Teile. Gloria hob die Hand zum Protest und stöhnte. Letztes Mal sei er doch gar nicht dabei gewesen. Er solle ihr nur… aber da war sie schon wieder ohnmächtig geworden. Und draussen hielt eine Kutsche.

 

„Hungerbühler, wo brennt’s?“ Doktor Schlächter stellte seine Ledertasche neben Glorias Kopf auf den Tisch. Hans zuckte zusammen. Durch seine Hand fuhr ein stechender Schmerz, als der siebzigjährige Hüne näher kam. „Das sehen sie doch, Doktor Schlächter.“ Unterdessen war auch Päuli ins Kämmerchen getreten. Er zitterte am ganzen Leib. Er war klatschnass. „Nein, ich sehe es nicht“, sagte der Doktor und blickte sich um, „ich rieche es. Irgendwo brennt’s hier.“ Jetzt fiel Hans die Feuerluke wieder ein. Und es roch tatsächlich. Und jetzt sah er es auch. Ein Funken muss auf den Teppich gesprungen sein. Ausgerechnet auf den Teil, der nicht nass geworden war. Und die Flamme war bereits beachtlich. Hans reagierte sofort. Er löschte sie mit der verbleibenden Suppe aus den beiden Schälchen.

 

„Nehmen sie die zur Beruhigung“, sagte Doktor Schlächter und schob Hans eine Tablette über den Tisch. Hans nickte apathisch. Gloria hatte sich schnell erholt. Bei ihr war es schlussendlich nur ein Fehlalarm gewesen. Aber Hans hatte zu Beissen. Sein Sohn war durchs Eis gebrochen und beinahe im Weiher ertrunken. Das Dachkämmerlein hätte abbrennen können. Der Teppich war schwarz, das Bettlaken futsch, und die Suppe weg, anstatt im Magen.
„Und die nehmen sie dann später“, sagte der Doktor und schob Hans eine zweite Tablette zu, „wenn sie meine Rechnung kriegen.“

 

Hans gab Gloria unumwunden recht. Er hätte nicht nach dem Doktor sondern nach der Hebamme schicken sollen. Und die Suppe könnte man zur Zwischenlagerung in einen Teller oder eine Tasse oder auch in das dritte Schälchen giessen, anstatt die Fassade runter in den Fluss. Und selbst Familie Hungerbühler besitzt ein paar Handtücher. Die sind in der Kommode neben dem Bett. Da braucht man nicht das Leintuch in Fetzen zu schneiden. Ja. Hans sah es ein. Sogar, dass das Pech seines Vaters wohl tatsächlich Pech über sie bringe. Darauf stand Hans auf, holte den schwarzen Klumpen aus dem Schuhkästchen und pfefferte ihn, laut fluchend, durchs Fenster raus. Nur, dass das Fenster unterdessen nicht mehr offenstand. Päuli hatte es geschlossen, weil ihm kalt war. Es zerbarst. Das Pech kam nicht einmal bis zum Fluss sondern plumpste direkt hinter dem Haus in den Schnee. In diesem Moment schlug die Stadtturmuhr. Es war sieben Uhr abends. Und Gloria und Päuli schauten Hans an. Päuli eilt seinem Vater jeden Tag entgegen, wenn der fertig ist mit der Arbeit. Immer um sieben Uhr trifft er ihn vor dem Stadtturm und dann spazieren sie gemeinsam nach Hause. „Papa“, fragte nun Päuli, „warum warst du heute eigentlich schon so früh Zuhause?“

Kapitel 4

Kapitel 4 – «Die Nachtigall»

„Sie haben meinen Anzug ruiniert“, sagte Anwalt Stutz, nachdem er ihn ausgezogen und in den Mülleimer neben seinem Bürotisch gestopft hatte. „Nun werde ich sie ruinieren.“ Hans sass geknickt da. „Niemand wird ihnen jemals wieder Arbeit geben. Und zwar weitherum.“ Der Anwalt rutschte auf seinen Socken zum Schrank und zog sich einen Ersatzanzug an. „Dafür werde ich sorgen.“ Er drückte Hans den Mülleimer in die Hand. „Bringen sie den und sich selber vor die Tür.“

 

Als Hans nach draussen trat, lag der Schnee schon einen halben Meter hoch. Er hatte sich nur gerade von Fräulein Gwunder verabschieden können. Sie steckte ihm einen Apfel zu. Dann kam Stutz mit dem Besen.

Hans deponierte den Mülleimer unter dem Vordach, den Anzug nahm er mit. Gloria würde den sicher sauber kriegen. Irgendwie. Und wenn Stutz seinen gereinigten Anzug sah, würde Hans seinen Job zurückbekommen. Das war doch ein Plan.

 

In der Stadt sassen Engel auf den Dächern. Und die Fenster waren geschmückt. Die Geschäfte lockten mit Weihnachtsangeboten und irgendwo musste einer Glühwein verkaufen. Hans schloss die Augen und sog den Duft ein. Goria würde der Schlag treffen, wenn sie von seinem erneuten Pech erfuhr. Bestimmt sass sie gerade mit Päuli beim Mittagessen.
Vor dem Knusper blieb Hans kurz stehen. Die Confiserie direkt beim Stadtturm war eine der Besten des Landes. Zwei Angestellte beluden gerade die berühmte Gourmet Kutsche, die immer bereitstand. Damit belieferte Knusper die nähere Umgebung mit himmlischem Gebäck. Mit Torten. Und Crèmes. Und Schokolade. Und weiss der Geier mit was noch. Hans umklammerte den Apfel in seiner Tasche und stapfte weiter. Unter dem Stadtturm hindurch. Da plumpste ihm auf der anderen Seite ein kleiner Stein auf den Kopf. So fühlte es sich jedenfalls an. Eine Beule würde er auf jeden Fall davontragen. Hans rieb sich den Kopf und schaute nach oben. Über ihm baumelte ein aus einem Nagel gefertigter Haken. Er war an einem Faden befestigt, der hoch hinauf bis zu einer schmalen Schiessscharte führte. Direkt unter dem Zifferblatt. „Hast du eine Zigarette?“ rief es da jetzt raus. Es war eine kräftige, warme Stimme. Hans erkannte sie sofort. „Bitte, mein Freund, du bist mein Glück.“ Der Haken tänzelte vor Hans auf und ab. „Habe ich leider nicht“, rief Hans nach oben und spiesste stattdessen den Apfel auf den Haken. „Halte durch.“ Der Gefangene zog die Schnur langsam hoch. Er war nicht der Einzige, der im Stadtturm Gefängnis hockte. Aber der Berühmteste. Die ganze Stadt kannte die Stimme der „Nachtigall“, die jeden Abend italienische Arien zum Gefängnis hinaus trällerte.

Die Stimme der Nachtigall begleitete Hans zum Dank bis hinunter zum Fluss, und weiter durch die Kopfsteingasse bis zur Brücke, und Hans summte mit, während der Schnee seine Haare weiss färbte. Dann kam er Zuhause an. Und hörte Schreie. Hans nahm drei Stufen auf einmal und riess die Tür zum Dachkämmerlein auf. Es war Gloria. Päuli tupfte ihr die Stirn. „Es geht los“, sagte sie, „es geht los.“

Kapitel 3

Kapitel 3 – «Kaffee-Klatsch»

„So nützen sie mir wenig“, sagte Anwalt Stutz, als Hans am nächsten Morgen bleich zur Arbeit erschien. Hans, der sich im kleinen Kreis gern als rechte Hand des stadtbekannten Anwalts bezeichnete, trug nun ausgerechnet um diese Rechte einen Verband. Darunter sah es gruselig aus. Zwölf Stiche hatte Dr. Schlächter nähen müssen. Wobei er es nicht im ersten Anlauf geschafft hatte. Und auch nicht im zweiten. „Keine Sorge“, sagte Hans und zeigte seine unversehrte Hand in die Höhe „das schaffe ich mit links.“ Stutz zog seine buschigen Augenbrauen hoch. „Das beurteile immer noch ich.“ Der Anwalt machte einen Schritt auf Hans zu und ging leicht auf die Zehenspitzen. „Enttäuschen sie mich nicht, Hungerbühler.“ Dann schloss er die Augen und verzog das Gesicht, als hätte er auf etwas Bitteres gebissen. „Ist das ihr Magen? Knurren sie hier nicht so unappetitlich rum. Los, an die Arbeit.“

Hans war seit fünf Jahren bei Stutz angestellt. Im Stundenlohn. Als Briefaufschlitzer. In der grossen Kanzlei flatterten ununterbrochen Briefe rein und Hans musste sie öffnen und in das richtige Fächlein ablegen. Ihm war noch nie ein Fehler unterlaufen. Er war schnell, loyal und verschwiegen. Wegen der miesen Bezahlung arbeitete er so viel er konnte. Mittagspause machte er nie. „Jawohl, Herr Stutz“ sagte Hans, „dann stürzte ich mich gleich rein.“ Er drehte sich um und knallte mit dem Postkurier zusammen, der voll beladen ins Büro schneite. Briefe flirrten durch die Luft und klatschten auf den Boden. Die Zeitung zerriss. Ein Raunen. Ein Stöhnen. Die meisten hatten Mitleid. Anwalt Stutz verrutschte das Gesicht.

 

„Ich komme nach“, sagte Hans, ohne von seinem Stapel Briefe aufzusehen, „ich komme gleich nach.“ Jeden Morgen um neun Uhr offerierte Stutz einen Kaffee. Dann galt es, alles stehen und liegen zu lassen und sich im Pausenraum einzufinden. Der Anwalt zählte dann durch. Geredet wurde in der Regel nicht. Nur geraucht. „Beeilen sie sich“, sagte Fräulein Gwunder, die tatsächliche rechte Hand des Chefs, „er will heute etwas Wichtiges verkünden.“ Eilig stöckelte sie davon. „Herr Hungerbühler kommt sofort“, hörte Hans sie trällern. Der Schweiss brach ihm aus. Wie hatte das nur passieren können? Hans war fassungslos. Die Briefe waren bei dem unglücklichen Zusammenstoss offenbar derart durcheinander geraten, dass dieser eine verflixte Brief bei ihm auf dem Stapel landetet anstatt beim Chef. Er hätte diesen Brief nie in die Finger kriegen dürfen. Und dann schlitzt er ihn auch noch auf! Wie blind kann man sein? Da stand doch „vertraulich“ auf der Rückseite, das muss man doch sehen! Aber gut. Jetzt nicht die Nerven verlieren. Ruhig bleiben. Er würde den vertraulichen Brief einfach aus dem aufgeschlitzten Couvert rausnehmen und in ein frisches verpacken. Dann würde er das Couvert feinsäuberlich adressieren…warte. Dazu würde er die Handschrift des Absenders fälschen müssen. Und mit der rechten Hand konnte er nicht schreiben. Wegen der Verletzung. Und mit der linken Hand konnte er schon gar nicht schreiben. „Hungerbüüühler!“ Anwalt Stutz machte sich schnaubend auf den Weg, seinem Briefaufschlitzer Beine zu machen. „Wenn sie jetzt nicht auf der Stelle erscheinen, dann schlitze ich ihnen etwas auf.“ Hans sah ein, dass er das Problem später würde lösen müssen. Kurz bevor sein Chef um die Ecke kam, stopfte er sich den Brief in die Unterhose.

 

„Und deshalb will ich, nein, ich verlange, ich befehle, dass sie alle einen tadellosen Eindruck machen, wenn der wehrte Herr jetzt dann gleich auftaucht.“ Anwalt Stutz setzte die Kaffeetasse an und nahm einen Schluck. Sofort zog er die Lippen zurück und entblösste eine Reihe gelber Zähne. Der Kaffee war noch zu heiss. Stutz fluchte, bis alle nur noch betreten zu Boden blickten. „Habe ich mich klar ausgedrückt?“ Hans war abwesend. Er hatte nur am Rande etwas von einem wichtigen Kunden mitgekriegt, der vorbeikommt und für die Kanzlei ein „gesegnetes Weihnachtsfest“ bedeuten könnte. Draussen tanzte der Schnee ohne Pause. Die Fenster beschlugen. „Und sie Hungerbühler!“ Hans fuhr zusammen. „Sie verstecken sich im Archiv, so lädiert wie sie aussehen.“ Hans nickte. „Oder nein, noch besser“, Stutz zog seine Brieftasche hervor und streckte Hans eine Note hin, „holen Sie mir beim Knusper ein Gipfeli und eine Cremeschnitte. Mein Magen knurrt schon fast so laut wie ihrer.“ Fräulein Gwunder, die es als grausam empfand, ausgerechnet Hungerbühler in die Bäckerei zu schicken, eilte Hans zu Hilfe. „Lassen sie mich das übernehmen.“ Gekonnt balancierte sie ein Tablett mit 15 Tassen, die sie bereits eingesammelt hatte. „Beim Knusper krieg ich immer noch etwas Süsses dazu. Für den Chef.“ Sie streckte Anwalt Stutz das Tablett hin, damit auch er seine Tasse darauf abstellen konnte, und fischte Hans das Geld aus der Hand. Nur dass Hans leider nachfasste. Er hatte diesen Cremschnitten-Auftrag nun einmal erhalten und wollte ihn auch gewissenhaft ausführen. So war er. Beim Nachfassen jedoch brachte Hans das Fräulein Gwunder aus dem Gleichgewicht. Und sie das Tablett. Die Tassen rauschten zu Boden und sprenkelten den Anzug des Chefs mit Kaffeeflecken. In diesem Moment trat der wichtige Kunde in die Kanzlei.

Kapitel 2

Kapitel 2 – «Das Vermächtnis des Schuhmachers»

Noch bevor die Hungerbühlers einen Blick in die Holzkiste werfen konnten, klappte Notar Jagdgrund den Deckel wieder zu. „Moment, Moment“, sagte er und öffnete erneut die schwere Schublade seines Schreibtischs. Sein Arm verschwand fast komplett darin, als er ächzend und fluchend nach etwas tastete, das sich offenbar ganz hinten versteckte. „Bevor ich ihnen das Erbe ihres Vaters übergebe, muss ich ihnen noch Grüsse ausrichten, von ihrer Mutter, ich bekam gestern einen Brief von ihr.“ Hans und Gloria schauten sich an. Seit die Mutter fortgegangen war, gab es keinen Kontakt zu ihr. Hans hatte ihn verweigert. Er zerknüllte jeden ihrer Briefe und warf ihn ungeöffnet in den Müll. „Ich habe keine Zeit, diese Ausreden zu lesen“, erklärte er dem entsetzten Päuli, „glaub mir, es ist das Beste so.“ Notar Jagdgrund jubelte erleichtert und warf einen Ledernen Tabakbeutel auf den Tisch. Er holte eine Pfeife aus seinem Sakko und begann sie zu stopfen. „Ihre Mutter wohnt nun in Paris. Die Glückliche. Was für eine Stadt. Waren sie schon einmal da? Wunderbar, ein Erlebnis sag ich ihnen. Ausser die Luft.“ Er kreiste mit einem Streichholz über der Pfeife und zog die Flamme paffend in den Tabak hinein, es qualmte fürchterlich, Jagdgrund erstickte fast. „Nun“, krächzte er, als der gröbste Husten durch war, „sie lädt sie für Weihnachten zu sich ein, offenbar geht es ihr gut.“ Die Augen des Notars waren tiefrot und tränten. Er spuckte in sein Einstecktuch und wischte sich die Lippen ab. „Sie schreibt sogar, dass sie für die Bahnreise aufkommen würde.“ Päuli sprang begeistert auf, aber Hans winkte ab. Nach Paris fahre er nie im Leben. Niemals. Die Mutter könne ihm gestohlen bleiben. Und da ändere auch Weihnachten nichts daran. Für einen kurzen Moment wurde es still im Büro des Notars. Vom Stadtturm her hörte man Gesang. Die allabendliche Arie. „Nun“, sagte Jagdgrund, das sei Pech. Und sein darauffolgendes Lachen löste einen weiteren Hustenanfall aus. Es schüttelte ihn regelrecht, als er den Deckel der Holzkiste hob. „Das ist wirklich Pech.“ Der Notar griff in die Holzkiste und streckte Hans einen dunklen Klumpen entgegen. Die Hungerbühlers verstanden nicht recht. „Schuhmacher-Pech“, Sagte Jagdgrund. „Ihr Vater vererbt ihnen sein letztes Quäntchen Pech.“ Dann räusperte er sich und las den letzten Willen des Vaters vor: „Möge euch dieses Pech Glück bringen. Möge die Familie wieder zusammenfinden und für immer wie Pech und Schwefel zusammenhalten.“ Hans musste lachen. Er hatte nicht viel erwartet, aber dieses Erbe war dann doch etwas zu…naja. Da hatte sich sein Vater zum Schluss noch einen Scherz erlaubt, muss man akzeptieren, lustig finden muss man es nicht. Hans wollte das Pech gerade entgegen nehmen, da hielt Gloria ihn zurück. Er solle sich unterstehen. Ob er sich im Klaren sei, was er da tue? Er müsse dieses Pech von sich weisen, so weit wie möglich, sonst komme es über ihn und die Familie, sie habe ein ungutes Gefühl, sie meine es ernst. Aber Hans wollte um diesen lächerlichen Klumpen Pech kein Aufhebens machen. Seit der Schwangerschaft sah Gloria sowieso überall Gefahren. Überall. Das war schon bei Päuli so gewesen. „Doch“, sagte Hans, „wenn sich mein Vater das so wünschte, dann nehme ich sein Pech an, und zwar von ganzem Herzen.“

Als Hans das Pech in der Hand hielt und es trotz Glorias Warnung über der Kerze betrachtete, fing der Saum seines Ärmels Feuer. Reflexartig tauchte er seine Hand in die Teekanne, um das Feuer zu Löschen. Da der Tee aber noch sehr heiss war, riss er die Hand genauso reflexartig wieder zurück. Die Kanne barst. Das hauchdünne Porzellan war scharf wie eine Rasierklinge. Den Schrei hörte man bis zum Stadtturm.

Kapitel 1

Kapitel 1 – «Die Mandarine aus dem fernen China»

Es war eine Woche vor Weihnachten. Vor vielen Jahren. In einer kleinen Stadt in der Schweiz. Hans Hungerbühler war mittlerweile so dünn, dass man ihn als Brief hätte einwerfen können. Das Einzige, das an ihm noch dick war, waren seine dunklen Locken und seine Sprüche: „Ich bin der grösste Zauberer aller Zeiten, mein König“, sagte er zu seinem Sohn Päuli, „ich kann alles verschwinden lassen, sogar ihren Hunger.“ Hans fuchtelte theatralisch vor Päulis Gesicht herum, murmelte ein paar Zaubersprüche und präsentierte mit einem lauten „Tadaaa!“ eine Mandarine auf seiner flachen Hand. Sie war weich und eingedrückt. Hans hatte sie so lange wie möglich aufgespart. „Dieses Juwel stammt aus dem fernen China, mein König.“ Hans streckte die Mandarine zwischen Daumen und Zeigefinger zum Kerzenlicht des Kronleuchters und kniff die Augen zusammen. „Makellos und rein. Wie ihr grosses Herz.“ Päulis Magen knurrte abermals. Der Junge war schon übellaunig mitgekommen, er wäre lieber mit den Schulkollegen zum grossen Weiher am Wald. Vielleicht konnte man jetzt endlich über das Eis laufen. „Die ganze Welt verzehrt sich nach diesem Diamanten, mein König. Also hütet euch vor Dieben.“ Hans rollte die Mandarine über den Tisch zu Päuli. Aber noch ehe dieser hungrige Wolf zuschnappen konnte, war sie weg. Scheinbar in Luft aufgelöst. „Ha!“, sagte Hans, „hättest du deinem alten Vater nicht zugetraut, so schnell, so dreist.“ Er streichelte Päuli übers Haar, zauberte die Mandarine hinter seinem Ohr hervor und gab sie ihm. Jetzt konnten beide lachen. „Pschhhht!“, machte Gloria und schalt ihren Mann und ihren Sohn. Hier sei nicht der Ort für solche Spässe. Und der richtige Zeitpunkt sei es schon gar nicht. Familie Hungerbühler sass im Büro von Notar Jagdgrund und wartete auf dessen Eintreffen für die Testamentseröffnung. In dem noblen Zimmer wirkten die drei noch ärmlicher. Die Kleider hingen an ihnen hinunter. Und obwohl das Kindlein jeden Moment zur Welt kommen konnte, sah man Gloria die Schwangerschaft fast nicht an. Selbstverständlich zählten Hungerbühlers nicht zu den Allerärmsten. Sie hatten zumindest ein Dach über dem Kopf. Aber eine schöne Erbschaft käme trotzdem wie ein Segen. Zumal durch das Dachkämmerlein, in dem sie wohnten, Tag und Nacht die eisige Zugluft strich. „Wie lange will der uns denn noch warten lassen?“, fragte Hans und rückte den Stuhl zurück. Er trat ans Fenster und blickte zur Stadtturmuhr. Draussen war es schon dunkel. „Ich will hier so schnell wie möglich wieder raus.“ Gloria kam um den Tisch herum und umarmte ihren Mann. Er hatte noch gar nicht richtig um seinen Vater trauern können.

Der Vater von Hans war einst ein angesehener Schuhmacher gewesen. Mit grosser Fingerfertigkeit und vollen Auftragsbüchern. Aber als die Mutter von Hans ihn verliess, weil er mehr Zeit in der Werkstatt verbrachte als mit seiner Familie, ging es rasant bergab. Gesundheitlich und geschäftlich. Nun ist er vor einer Woche gestorben. Die Hungerbühlers hatten ihn noch bis zum Schluss bei sich im Kämmerlein gepflegt. Sie löffelten ihm Suppe, machten Wickel, sie wuschen ihn und lasen Geschichten vor, wenn er weinte. Hans behielt den Hut des Vaters und sein schönstes Paar Schuhe als Andenken. Mehr hatte der Vater nicht mehr besessen. Dachten sie. Dass Hans nun offenbar doch noch etwas erben würde, war ihnen unerklärlich. „Hans im Glück“, hatte Gloria gesagt, bevor sie hergekommen waren.

„Möchten sie das Erbe annehmen?“ fragte Notar Jagdgrund, nachdem er sich in seinen pompösen Sessel gezwängt und sich ausschweifend vorgestellt hatte. Überall im Zimmer brannten nun Kerzen. Der Ofen war eingeheizt. Und vor den Hungerbühlers stand eine dampfende Teekanne aus hauchdünnem Porzellan. Die Vorzimmerdame hatte irgendwann Mitleid bekommen mit den drei dürren Gestalten. „Nun?“ Notar Jagdgrund bemühte sich um Seriosität, aber seine Mundwinkel zuckten immer wieder nach oben. Hans legte seine Hand auf Glorias Knie. Päuli faltete eine Mandarinenschale und spritzte den Saft in die Kerzenflamme, die vor ihm züngelte. „Also Schulden hatte der Vater nicht.“ Da war sich Hans sicher. Das hätte er mitgekriegt. „Ja“, sagte er bestimmt, „ja, ich nehme das Erbe meines Vaters an.“ Da konnte Notar Jagdgrund dann doch nicht anders und prustete los. So etwas sei ihm in seiner langen Laufbahn noch nie vorgekommen, er habe schon viel erlebt, aber ein solches Erbe, er müsse schon sagen, herzliches Beileid. Er wischte sich mit seinem Einstecktuch die Tränen ab, schloss die oberste Schublade seines Schreibtischs auf und holte unter einem erneuten Lachanfall eine kleine Holzkiste hervor. Draussen hatte es zu schneien begonnen. „Bereit?“ keuchte Jagdgrund. Dann hob er den Deckel.

Hans hat Pech - Teaser Video